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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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als ein halbes Jahr, und trotzdem hat er den Menschen kein Glück gebracht. Schau dir nur dieses verlumpte und verlauste Volk an, Anna. Dagegen reisen wir schier wie die Könige. Wie die drei Weisen aus dem Morgenland kommen wir daher, vergleicht man uns mit denen.«
    Hans Mergel philosophierte bereits seit mehr als einer Stunde über die schreckliche Armut der zahlreichen Menschen, die den dreien auf ihrem weiteren Weg immer und immer wieder begegneten. Da kamen ihnen entlassene Söldner mit ihren Frauen und Kindern entgegen, da waren mittellose, weil ausgebrannte Bauern unterwegs, da zogen Zigeuner und fahrende Händler ohne Kundschaft umher, und da gab es natürlich auch reichlich von denen, die es darauf abgesehen hatten, sich an diesem großen Aufkommen heimatloser Menschen zu bereichern und zu ergaunern, was es noch zu ergaunern gab.
    Hans Mergel behauptete von sich, einem Menschen am Gesicht ansehen zu können, ob er ein Halunke sei oder nicht.
    »An der Kleidung und an der Stimme kannst du es nicht erkennen, Anna. Das ist unmöglich. Ich weiß sogar von Edelleuten, die sich einen Spaß daraus machen, die Kutschen von Kaufleuten zu überfallen. Raubritter sind das. Gab es in vergangenen Zeiten viel, dann eine Weile nicht mehr, nun sind sie wieder da. Als hätte die Hölle sie einfach ausgespuckt.
    Du kannst nicht einmal sagen, dass alle Zigeuner Diebe sind, nein, das kann man nicht behaupten. Habe schon sehr liebreizende Menschen kennengelernt, als ich damals als junger Ge-selle unterwegs war. Sehr liebreizend, besonders die Mädchen, können wunderbar tanzen und singen, diese Zigeunerinnen. Nein, das sind nicht immer Schlitzohren. Viel eher kann es dir passieren, dass dir eine dumme Magd, mit einem Gesicht wie ein schaf und einem Hintern wie ein Pferd, dass so eine dir, so blöd sie auch aussieht, heimlich den Geldsack stiehlt. Alles schon erlebt.
    Da ist so viel Gesindel unterwegs in der heutigen Zeit, da kannst du nichts auf die Herkunft oder auf gute Erziehung geben. Die kommen von überall her, aus Böhmen, aus Dänemark, aus Schottland, aus Ungarn, aus Schlössern, Holzhütten oder Höhlen, und alle können sie gut oder böse sein. Du siehst es ihnen auf den ersten Blick nicht an. Nicht, wenn du kein geschultes Auge hast. Ich habe zum Glück ein geschultes Auge. Ja, das habe ich, und darauf kannst du dich verlassen.
    Ja, ja, der Frieden. Das ist schon’ne komische Sache mit dem Frieden. Bringt alles durcheinander. Wird Jahre, ach was sag ich, Jahrzehnte dauern, bis vieles wieder im Lot ist. Die müssen ja alle erst mal ein Zuhause finden, die ganzen Leute. Und finde du mal ein Dach überm Kopf, in diesen Zeiten. Ist ja sämtliches Hab und Gut abgebrannt.
    Und wenn du dann mal in ein heiles Dorf kommst, wo noch alles steht, dann jagen sie dich doch gleich mit Heugabeln und Äxten heraus. Und Recht haben die dabei. Haben Recht, wenn sie das machen. Glaub mal gar nicht, dass jeder von den Rumtreibern hier so genau weiß, wohin er will. Da sind wir eine Ausnahme. Die anderen ziehen einfach mal hierhin und mal dahin und hoffen jeden Tag, was zu beißen zu kriegen.«
    Mergels Monolog ging weiter und zog sich über den ganzen Nachmittag. Manchmal hörte Anna ihm zu, manchmal träumte sie von einem schöneren Leben, und manchmal ging sie einfach stumpf vor sich herblickend den Weg entlang, der sie in Richtung der Stadt Korbach führen sollte. Dort wollten sie von dem vielen Geld, welches sie mit Hilfe des Jungen ergaunert hatten, weiteren Proviant erstehen.
    Balthasar war wieder sehr still geworden. Von dem aufgeweckten Kerlchen, welches in Paderborn so sehr in seinem Element gewesen war, war nichts mehr zu spüren. Anna hatte ihn ein manches Mal angesprochen und nur ein Nicken oder ein Kopfschütteln auf ihre Fragen erhalten, und auch Hans Mergel hatte es aufgegeben, dem Jungen Geschichten zu erzählen. Stattdessen wandte er sich Anna zu, und obgleich er genau bemerkte, dass sie ihm nur ab und an mit einem Ohr lauschte, ignorierte er diese Tatsache geflissentlich und redete einfach weiter.
    »Väterchen, gebt einer armen alten Frau doch ein Stückle Brot. Einen Krumen nur, nur einen winzigen Krumen.«
    Mergel wurde in seinen Schilderungen von einer Bettlerin unterbrochen, die zusammen mit einem schweigsamen, einbeinigen Mann an einer Weggabelung Rast machte und offenbar einen jeden, der vorüberkam, um Essen anflehte.
    »Kann dir nichts geben, Alte. Habe selbst nicht genug«, antwortete Mergel barsch.
    Die

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