Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
sich zu einem hübschen Kerl.
Bei einem der Feste – es war nicht lange her – wurde der Knabe von einem Herrn angesprochen, der sich als sehr freundlich erwies. Balthasar erzählte ihm, dass es ihm nicht gut ergehe bei dem Rittmeister Fengler und dass er sich zurücksehne nach Heidelberg, wo seine liebe Mutter, sein lieber Vater, seine gutherzige Großmutter und seine vier Geschwister sicherlich sehnsüchtig auf ihn warteten. Der Mann, der ohne Zweifel mitbekommen hatte, welches Spiel mit dem Knaben allabendlich bei den Saufgelagen getrieben wurde, bot ihm an, ihn fortzubringen. Und das habe er auch getan.
Er hatte mit Fengler gesprochen und diesen gebeten, den Buben für eine Nacht mit auf sein Zimmer zu nehmen. Großmütig hatte dieser eingewilligt und seinem Gast viel Spaß gewünscht. In dieser Nacht hatte Balthasar ein eigenes Bett in der Kammer des fremden Herrn erhalten und dort unbehelligt schlafen können. Am nächsten Tag dann waren sie zusammen an den Rand des Lagers geritten, wo der Fremde ihn an Anna und Mergel übergeben hatte.
Mit diesen beiden war er nun auf dem Weg nach Heidelberg. Und Balthasar schloss seine Erzählung mit folgenden traurigen Worten: »Doch dass ich meine Familie wiedersehen werde, daran glaube ich nicht. Je näher wir der Stadt kommen, desto mehr fürchte ich mich davor. Eigentlich will ich gar nicht nach Heidelberg. Was soll ich denn da? Nein, ich will nicht dorthin.«
»Wenn der Junge nicht nach Hause will, dann können wir anstatt über Marburg und Gießen auch über Fulda ziehen, da hätten wir uns einige Meilen Umweg gespart.«
Hans Mergel dachte pragmatisch. Seit zwei Tagen schmerzte sein linkes Bein wieder ungeheuerlich, und es ärgerte ihn, dass Anna sein Leiden offensichtlich nicht zu registrieren schien. Vielleicht, so gestand er sich insgeheim ein, war es auch seine eigene schuld, dass sie nicht mehr auf sein Klagen und Jammern reagierte, war er doch in der letzten Zeit etwas übertrieben wehleidig gewesen. Dabei hatten sich die eitrigen Wunden längst geschlossen, und auch die einst ausgekugelten Schultern bereiteten ihm nur noch beim Heben schwerer Gegenstände ein unangenehmes Ziehen.
Jetzt jedoch hatte sich eine der Wunden, die ihm ganz am oberen Ende des linken Oberschenkels beigebracht worden war, wieder entzündet, und an diesem Morgen hatte er feststellen müssen, dass sie zu faulen begann. Kein gutes Zeichen, das wusste der alte Mann, doch aufgrund der intimen Körper-stelle, an der dieser schmerzhafte Prozess vonstattenging, war er eigentlich recht froh, dass Anna seinem leisen Klagen keine Aufmerksamkeit schenkte, wollte er doch nicht, dass sie ihn ebendort untersuchen und verbinden musste.
Ganz entgegen seiner Natur hielt er sich also zurück und versuchte lediglich den Weg, von dem sie bisher – und es war schon Anfang Dezember – nicht einmal ein Fünftel zurückgelegt hatten, abzukürzen. Könnten sie sich die station Heidelberg ersparen und müssten sie nicht eine Schleife in den Westen machen, dann kämen sie sicherlich einen Monat früher an ihrem eigentlichen Ziel in Bayern an. Schließlich war auch zu bedenken, dass sie in Heidelberg die Eltern des Jungen erst einmal ausfindig machen mussten.
»Hast du gehört, Anna? Ich hätte da einen Vorschlag zu machen.« Hans Mergel sprach lauter und schaute Anna mit hochgezogenen Brauen und großen Augen direkt ins Gesicht.
Doch Anna war in einer anderen Welt. seit Balthasars Erzählung konnte sie nur noch an ihn denken, an ihren edelmütigen Reiter, der nicht nur sie aus den Fängen der Lynchjustiz befreit, sondern auch den armen Knaben vor weiteren Übergriffen dieses Lüstlings errettet hatte. Und diesen Mann kannte sie – sie, Anna Pippel. Und wahrscheinlich, so nahm sie an, so hoffte sie fast, kannte sie ihn sogar näher. Dieser Gedanke, der sie früher befangen gemacht hatte, machte sie nun stolz. Ja, Anna war stolz darauf, sich in solch einen Mann verliebt zu haben.
»Anna! Anna!«
»Ja? Entschuldige, Hans, hab dich nicht gehört.«
»Na, leise habe ich nicht gerade gesprochen, und unsichtbar bin ich auch nicht. Ich wollte nur sagen, dass wir auch über Fulda ziehen können. Jetzt, wo wir doch nicht unbedingt nach Heidelberg müssen. Wäre viel Weg gespart. Der Junge will ja gar nicht nach Hause.«
»Ich weiß nicht, Hans, ob wir das machen sollten. Vielleicht überlegt es sich Balthasar ja noch anders. Wenn er erst einmal seine Familie sieht, ist alles wieder gut und vergessen.
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