Des Teufels Werk
später saß ich schon wieder wie gebannt vor dem Apparat. Sie gab in Mailand eine Pressekonferenz. Es war eine Bravourleistung, nach der ich mich meiner Unfähigkeit schämte, über das zu sprechen, was mir geschehen war. Mir fehlte Adelinas Courage.
Gleich nach Adelinas Freilassung durchsuchte ich Websites nach Mietimmobilien im West Country. Meiner Mutter gefiel das natürlich nicht, erst recht nicht, als ich ihr sagte, dass ich vorhatte, einen Vertrag für ein halbes Jahr zu machen, und fragte, ob ich noch einmal ihren Mädchennamen benützen dürfe. Was das solle? Was denn mit Reuters sei? Wie ich leben wolle? Warum ich ihr immer vormachen wolle, mir ginge es gut, obwohl das so offensichtlich nicht stimme. Was mir denn fehle. Und wieso ich untertauchen wolle, kaum dass Adelina frei war.
Wieder griff mein Vater ein. »Lass sie«, sagte er entschieden. »Wenn sie mit sechsunddreißig nicht weiß, was sie will, wird sie es nie wissen. Manche Wunden heilen nur an frischer Luft.«
Ich hätte ihnen die Wahrheit sagen können – hätte es wahrscheinlich tun sollen –, und ich frage mich heute, warum ich es nicht getan habe. Ich war ihr einziges Kind, unsere Beziehung war eng und liebevoll, auch wenn sich manchmal große Gräben zwischen uns auftaten. Aber mein Vater quälte sich so sehr mit Selbstvorwürfen darüber, die Farm in Simbabwe aufgegeben zu haben, dass ich ihn nicht auch noch mit meinen belasten wollte. Wäre er nicht verheiratet gewesen, so hätte er sich aus reinem Eigensinn im Haus verbarrikadiert und wäre geblieben, aber meine Mutter hatte ihn zur Aufgabe gezwungen, nachdem einer der Nachbarn von Mugabes Zanu-PF-Leuten ermordet worden war.
Mein Vater konnte sich die Kapitulation, wie er es sah, nicht verzeihen. Er war der Meinung, er hätte energischer um das kämpfen müssen, was seine Familie erworben und aufgebaut hatte und daher von Rechts wegen sein Eigentum war. Er sicherte sich eine halbwegs gut bezahlte Anstellung bei einem Weinimporteur in London, aber er hasste die insulare Beschränktheit Englands, das klaustrophobische Leben in der Stadt und die bescheidene Mietwohnung in Kentish Town, die viermal in ihr Haus außerhalb von Bulawayo gepasst hätte.
Im Aussehen schlage ich meiner Mutter nach, groß und blond, im Charakter mehr meinem Vater, eigenwillig und selbständig. Auf den ersten Blick scheint meine Mutter die Unsicherste von uns zu sein, aber ich frage mich, ob ihre Bereitschaft, Furcht einzugestehen, nicht auch ein Zeichen von Selbstsicherheit ist. Für meinen Vater war die Flucht aus Simbabwe ein Eingeständnis der Niederlage. Er hielt sich für einen starken und entschlossenen Menschen, und im Sommer 2004 wurde mir klar, wie demütigend es für ihn gewesen war, alle Brücken abzubrechen und zu fliehen. Er hatte, genau wie ich, nicht den Mut aufgebracht, seinen Gegnern entgegenzutreten – das Resultat war, dass jeder von uns sich entwürdigt fühlte.
Meine Entschuldigung, ich brauche Zeit und Freiraum, um ein Buch zu schreiben, war nicht ganz unwahr. Noch in Bagdad (nach den Abu-Ghraib-Enthüllungen) hatte ich ein Exposé gemacht und dafür einen Vertrag für ein Buch angeboten bekommen. Ich beobachtete, wie irritiert ich und meine Kollegen reagierten, als der Westen den Glanz moralischer Achtbarkeit verlor, und hatte die Idee, die Unruheherde der Welt aus dem Blickwinkel von Kriegskorrespondenten zu zeichnen. Insbesondere wollte ich untersuchen, wie fortwährende Gefährdung sich auf die Psyche eines Menschen auswirkt.
Der erste Vorschuss, der mir angeboten wurde, war ein Taschengeld. Ich konnte einen neuen aushandeln, als ich zusicherte, dass das Buch einen umfassenden Bericht meiner Entführung enthalten werde. Es war reiner Betrug, denn ich hatte nie die Absicht, die Wahrheit zu enthüllen. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, überhaupt ein Buch zu schreiben – jedes Mal, wenn ich vor einer Tastatur saß, war ich wie gelähmt. Trotz alledem hatte ich keinerlei Gewissensbisse, was meinen Verleger anging, und redete ihm ein, er könne sich auf mich verlassen. Das Buch war für mich der Vorwand, den ich brauchte, um unterzutauchen und mein in Fetzen hängendes Nervenkostüm wieder zusammenzuflicken.
Ich fand das Barton House auf der Website eines Immobilienmaklers in Dorset und nahm es, weil es das einzige Objekt war, das man für ein halbes Jahr mieten konnte. Es war viel zu groß für eine einzelne Person, aber die wöchentliche Miete war die gleiche wie für ein
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