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Des Teufels Werk

Titel: Des Teufels Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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bewirtschaften sollte, und wusste nicht, wie ich das anfangen soll. Und wovor haben
Sie
Angst?«
    Vor dem Ersticken – Ertrinken – Sterben …
    »Vor dem Versagen«, sagte ich wie sie.
    In gewisser Hinsicht stimmte es, aber sie glaubte mir nicht. Entweder hatte ich den falschen Ton gewählt oder mein Gesicht sagte etwas anderes. Ich fragte mich, ob sie gekränkt war, dass ich mich ihr nicht anvertrauen wollte, denn sie richtete sich unvermittelt auf und verschwand wieder im Haus. Einige Zeit danach kam der Arzt.
    Er hielt seinen Wagen neben Jess' Land Rover an und stieg aus. Er war groß und dunkel und hatte eine Leinenjacke und eine sportliche Hose an, und auf dem Beifahrersitz seines BMW stand eine Golftasche. Er ging kurz in die Knie, um im Fenster zu prüfen, ob seine Krawatte richtig saß, dann eilte er an mir vorüber ins Haus. »Wo zum Teufel hast du dich versteckt, Jess? Was hat das alles zu bedeuten?«, hörte ich ihn rufen, bevor seine Stimme von den Wänden verschluckt wurde.
    Wenn es etwas gab, das todsicher eine neue Panikattacke hervorrufen würde, dann war es der Gedanke an den ganzen Wirbel, der folgen würde. Krankenwagen – Psychiater – Krankenhäuser – die Presse. Ich wusste schon jetzt die Schlagzeilen der Boulevardpresse: ›Connie am Ende – Nervenzusammenbruch!‹ Das war der Anstoß, den ich brauchte, um aus dem Wagen zu steigen, denn ich wusste, dass ich der Schande der Enthüllung nicht noch einmal ins Auge sehen konnte. Ich hätte so tapfer sein müssen wie Adelina.
    Haben Sie versucht, Widerstand zu leisten? Nein.
    Haben Sie die Männer gefragt, wer sie sind? Nein.
    Haben Sie sie gefragt, warum sie das tun? Nein.
    Haben Sie überhaupt mit ihnen gesprochen? Nein.
    Können Sie uns denn irgendetwas sagen, Mrs. Burns? Nein.
    Ich öffnete meine zur Faust geballte Hand, um die Tür aufzumachen, und merkte, dass ich die Papiertüte so krampfhaft festgehalten hatte, dass sie sich an meiner schweißnassen Haut aufzulösen begann. Es sind die Kleinigkeiten, die Angst machen. Ich hatte plötzlich furchtbare Angst, das könnte meine letzte Tüte gewesen sein.
    Es war nicht die letzte. Mein Vorrat steckte immer noch in der Ablage der Fahrertür rechts neben mir, ein Stapel gefalteten braunen Papiers, mein Rettungsanker. Den Trick hatte ich aus dem Internet. Wenn man das eigene Kohlendioxid einatmet, lassen die Paniksymptome nach. Das Gehirn begreift, dass der Körper nicht durch Ersticken sterben wird, und der Teufelskreis der Todesangst wird vorübergehend durchbrochen. Wie ich später erfuhr, gelang es Jess auf diese Weise nicht nur, mit ihren Attacken fertig zu werden, sondern sie ganz zu überwinden. Für mich jedoch waren die Papiertüten bloß eine letzte Zuflucht vor dem Erstickungstod.
    Ich rieb meine Hände heftig aneinander, um die Papierfetzchen loszuwerden. Ganz wie Lady Macbeth. ›Fort, verdammter Fleck! Fort, sag ich! Die Hölle ist finster.‹ Aber woher hat Shakespeare gewusst, dass gequälte Frauen sich fortwährend reinigen müssen? Tun wir das vielleicht schon seit Jahrhunderten, um uns von Schmutz zu befreien?
    Ich erinnerte mich, dass ich in der Internet-Beschreibung von Barton House gelesen hatte, im Garten gebe es einen Fischteich. Vom Auto aus konnte ich keinen sehen, er musste folglich hinter dem Haus sein. Es spielt keine Rolle, was mich dorthin trieb, um mir die Hände zu waschen, aber ich habe mich seither oft gefragt, ob ich deshalb begann, mich für Lily Wrights Geschichte zu interessieren, weil ich genau an der Stelle am Wasser niederkniete, wo Jess Derbyshire sie sterbend vorgefunden hatte.

5

    Nach allem, was ich später hörte, glaube ich nicht, dass Lily und ich Freundinnen geworden wären. Sie hatte altmodische Ansichten darüber, wo eine Frau hingehört, und hätte von einer unverheirateten Kriegskorrespondentin, die Arbeit über Familie stellte, ganz sicher nicht viel gehalten. Sie selbst sah es als ihre Aufgabe an, in Winterbourne Barton die ›grande dame‹ zu geben, weil Barton House das älteste und größte Haus im ganzen Tal war und ihre Familie schon seit drei Generationen dort lebte. Als ihr Mann noch am Leben war und bevor sich die Bevölkerung des Dorfs durch den Zuzug Fremder veränderte, nahm sie aktiv am Gemeindeleben teil; nach seinem Tod jedoch zog sie sich immer mehr zurück.
    Es war ein langsamer Prozess, der beinahe unbemerkt vor sich ging, und die meisten Leute nahmen an, ihre regelmäßigen Verweise auf enge Verbindungen zu Dorsets

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