Des Todes Liebste Beute
Handy aus der Tasche. Sie gab Spinellis Nummer ein.
Dienstag, 24. Februar, 17.30 Uhr
»Kommen Sie rein. Setzen Sie sich.«
Abe sah sich in der kleinen Wohnung von Grayson James um. Auf dem Kaminsims entdeckte er mehrere Pokale, die der Mann bei Schießwettbewerben gewonnen hatte. »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu reden, Mr. James.«
»Diana hat Sie angekündigt. Sie sagt, Sie wollten etwas über eine Herstellermarkierung wissen.« Er stellte eine kleine Lampe auf den Küchentisch und schaltete sie ein. »Dann zeigen Sie mal.«
Zum sechsten und letzten Mal zog Mia die Plastiktüte mit der Kugel hervor. Keiner von Dianas Kunden hatte ihnen bisher helfen können.
»Darf ich sie anfassen?«, fragte James.
»Wir bitten darum«, gab Abe zurück und sah zu, wie der Mann die Kugel mit geschickten Fingern hin und her drehte und schließlich unter das Licht hielt.
Eine Weile herrschte Schweigen. Dann setzte James sich. »Wo haben Sie die her?«
Mia warf Abe einen Blick zu. »Haben Sie sie schon einmal gesehen?«
»Oh, ja. Vor mehr Jahren, als ich nachrechnen will.« Einen langen Augenblick starrte James auf die Kugel und schien ganz woanders zu sein. Dann blinzelte er und gab Mia die Kugel zurück. »Als Kind hatte ich einen Freund – es war lange vor dem Krieg. Er und ich übten immer Schießen bei der Hütte seines Vaters. Sein Vater goss die Kugeln selbst und brachte uns bei, wie man das machte. Das hier war seine Markierung. Ich habe niemals vorher und niemals nachher etwas Ähnliches gesehen. Wo haben Sie sie gefunden?«
»Ihr Freund, Mr. James«, sagte Abe so ruhig, wie es ihm möglich war. »Können wir mit ihm reden?«
James presste die Lippen zusammen. »Nur, wenn Sie auf Geisterbeschwörung stehen. Hank Worth ist 1944 auf Iwo Jima gestorben.«
Mia stieß den Atem aus. Sie konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen. »Kinder?«
»Nein. Er war erst achtzehn, als wir eingezogen wurden. Hören Sie – ich habe Ihnen geholfen. Das mindeste, was Sie tun können, ist, mir zu sagen, woher Sie die Kugel haben. Sie sind Detectives, also kann es sich nicht gerade um etwas Positives handeln. Ich finde den Gedanken unerträglich, dass jemand Hanks Andenken besudelt. Er war mein Freund.«
Abe zögerte. »Ich darf Ihnen keine Einzelheiten verraten, Mr. James, aber wir arbeiten im Morddezernat. Diese Kugel wurde nach einem Mordversuch gefunden.«
James’ Augen weiteten sich, als er endlich zwei und zwei zusammenzählte. »Moment mal. Sie ermitteln doch in dieser Sache mit dem Rächer. Der, der die Verbrecher und Anwälte umbringt.«
Mia straffte sich, als sie die Anklage in James’ Stimme wahrnahm. »Das ist richtig.«
»Ziemliches Dilemma«, murmelte James. »Er beseitigt Burschen, die es verdient haben, aber dennoch …«
»Dennoch?«, fragte Mia.
»Dennoch bleibt es Mord. Ich habe auch getötet, im Krieg, weil ich es musste. Aber es verändert einen. Man ist nicht mehr derselbe, wenn man einem anderen Menschen das Leben nimmt.«
Mia wirkte einen Moment von Trauer überwältigt, und Abe wusste, dass sie an die Schießerei dachte, in der ihr ehemaliger Partner getötet worden war. Sie hatte an diesem Abend aus Notwehr einen Mann getötet, und sein Kumpel hatte sich prompt gerächt, indem er auf sie und Ray geschossen hatte. Mia hatte Glück gehabt. »Ja, Mr. James«, sagte sie nun. »Das ist wahr. Aber wir müssen diesen Mann vor allem finden. Bitte sagen Sie uns, an was Sie sich sonst noch erinnern können.«
James sah sie ernst an. »Mein Freund hatte eine Verlobte, bevor er sich einschiffte. Die beiden wollten heiraten, aber sie hatte nichts Besseres zu tun, als dann doch einen anderen zu nehmen. Keine zwei Monate, nachdem er abgereist war. Das hat ihn umgebracht, das können Sie mir glauben. Warten Sie einen Moment.«
Sie blieben schweigend sitzen, und eine paar Minuten später kehrte James zurück. »Hier ist ein Brief, den er mir geschickt hat. Datiert vom Dezember 1943. Da steht der Name – der von seiner Süßen, meine ich. Genny O’Reilly. Er schreibt, er habe ihren Brief gerade erst bekommen, aber die Post brauchte damals eine Ewigkeit. Wer weiß, wann sie den Typen tatsächlich geheiratet hat.« Er gab ihnen das gelbe Papier. »Ich hätte das gerne zurück, wenn Sie es nicht mehr brauchen. Manchmal sind die Erinnerungen alles, was ich noch habe.«
Dienstag, 24. Februar, 18.00 Uhr
Zoes Chef, Alan Wainwright, kochte. »Was hast du dir bloß dabei
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