Des Todes Liebste Beute
er sie zum letzten Mal lebend gesehen hatte. Sie hatte so verloren gewirkt, so unendlich einsam. Schuld daran hatten der Richter, der Verteidiger, der Vergewaltiger. Sie alle verdienten zu sterben.
Und das würden sie. Aber er musste vorsichtig sein. Wenn er den Richter erst einmal ermordet hatte, würden sie die Suche eingrenzen können. Hatte er den Verteidiger beseitigt, würden sie es wissen. Der Vergewaltiger würde ahnen, was auf ihn zukäme, und untertauchen. Und er würde auf seine Rache verzichten müssen.
Das durfte nicht geschehen. Wie sollte er es also anstellen, dass die anderen nicht ahnen konnten, wer als Nächstes an die Reihe käme? Andererseits wollte er, dass sie etwas ahnten. Er wollte, dass der Anwalt vom Tod des Richters erfuhr und Angst bekam. Er wollte, dass den Vergewaltiger die Furcht packte, wie sie Leah gepackt hatte.
Er wollte, dass jeder der drei genau wusste, warum er sterben musste.
Und er wollte, dass alle drei sehr viel Schmerzen erlitten.
Er saß in der Dunkelheit, durchdachte verschiedene Szenarien und kehrte schließlich zu seinem ursprünglichen Plan zurück. Er würde sie hetzen wie die Ratten, die sie waren, sie bewegungsunfähig machen und herbringen. Er würde schnell jagen, effizient. Aber sobald er sie in seiner Gewalt hatte, würde er sich jedem Einzelnen ausgiebig widmen, bis er um Gnade flehte.
Gnade? Er würde genauso viel Gnade walten lassen, wie sie Leah zuteil werden ließen.
Mit anderen Worten – keine.
Dienstag, 24. Februar, 22.00 Uhr
Kristen riss die Augen auf, als sie in ihre Einfahrt bogen. Trumans Streifenwagen war nirgendwo zu sehen. Alarmiert sah sie sich um. »Was ist passiert?«
»Sie mussten ihn wieder auf Streife schicken. Ein halbes Dutzend Jungs liegt mit Grippe im Bett, und die Zentrale braucht jeden Mann. Ich habe gesagt, dass es klargeht.«
Einen Moment lang kam vom Beifahrersitz kein Wort. Dann: »Weil du bei mir bleiben willst.«
Sie hatten bisher noch nicht darüber gesprochen. Für ihn war es sonnenklar gewesen, aber er konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete, und er verstand. Die anderen beiden Nächte waren besondere Situationen gewesen. Sie war überfallen worden. Letzte Nacht war sein Vater hier gewesen. Aber heute war es anders. Heute waren es nur ein Mann und eine Frau allein in ihrem Haus. Zu sagen, dass er nicht schon von möglichen Entwicklungen geträumt hatte, wäre eine Lüge gewesen. Ein Teil seines Bewusstseins träumte noch immer, und er war froh, dass die Dunkelheit ihn umgab. »Ich schlafe auf der Couch.«
Sie lehnte sich zurück und wandte ihm das Gesicht zu. »Das würdest du wirklich tun, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete er, ohne zu zögern. »Bis du dich anders entscheidest, ja.«
Ein Mundwinkel hob sich. »Es liegt also an mir?«
Er lächelte nicht. »Ganz und gar.«
»Würdest du mir wenigstens einen Gutenachtkuss geben?«
Jetzt musste er doch lächeln. »Hauptsache, du bittest mich nicht, dich ins Bett zu bringen. Allem kann ich dann doch nicht widerstehen.« Ohne ihr Zeit zu geben, noch etwas zu sagen, half er ihr aus dem Wagen und griff dann nach dem Laptop und der Einkaufstüte, die sie in der Hand hielt. »Was ist denn da drin?«
»Zeitschriften«, sagte sie. »Annie und ich haben über die Renovierung meiner Küche gesprochen, während wir Kartoffeln geschält haben. Sie hat mir ein paar Magazine geliehen, damit ich mir Ideen holen kann. Ich überlege, ob ich eine Wand rausreißen und das Ganze im Landhausstil machen soll. Provenzalisch. Du könntest dir die Fotos mal ansehen und mir sagen, was –«
Sie brach mit einem erschreckten Aufschrei ab, und eine Sekunde später sah auch er es. Die Hausseite, in der sich die Küchentür befand war mit schwarzer Farbe eingesprüht. Blade-Graffiti, mindestens zwei Meter hoch. Eine lange Linie zog sich über die Mauer und endete in einem stilisierten Pfeil.
»Ich hole eine Lampe. Warte hier.« Er stellte Tüte und Tasche zu ihren Füßen ab, holte eine Taschenlampe aus dem Wagen und ging dann vorsichtig zur Hausecke. Mit gezogener Waffe spähte er herum und leuchtete den Schnee ab, bis er sah, was die Gang zurückgelassen hatte. »Verdammter Mist.«
»Was ist denn?«, sagte sie direkt hinter ihm, und er fuhr zusammen.
»Verdammt noch mal, Kristen, ich habe gesagt, du sollst an der Tür warten.« Aber es war zu spät. Sie sog plötzlich scharf die Luft ein.
»Oh, Abe, nein.«
»Halt das fest und beweg dich nicht.« Er gab ihr die
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