Des Todes Liebste Beute
die Schritte, als er zu seinem Wagen rannte. Dann das Geräusch quietschender Reifen und der Geruch von verbranntem Gummi.
Anschließend lief in seiner Erinnerung alles in Zeitlupe ab. Er sah, wie ihr Blut in den Gully rann, wie ein Passant um Hilfe rief, wie er vergeblich versuchte, das Blut, das aus ihrer Schläfe quoll, zu stoppen. Er hörte sich flehen, wieder und wieder. »Debra, bitte. Liebes, mach die Augen auf. Bitte.« Immer wieder.
Aber sie öffnete die Augen nicht. Damals nicht und nie wieder danach. Die Ärzte brachten das Baby eine Stunde später im Krankenhaus zur Welt, aber es war stumm, reglos, tot. Niemals in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt.
Bis zu dem heutigen Abend. Als er auf die beiden Autowracks zugefahren war und gewusst hatte, dass Kristen in einem der beiden steckte. Dass ein paar Gang-Mitglieder sie bedroht hatten, weil eine Reporterin ihren Mund nicht hatte halten können.
Aber ihr ist nichts geschehen. Sie hat sich gewehrt.
Er stieß ein leises, freudloses Lachen aus. Mit einer armseligen Dose Pfefferspray! Aber gelobt war Gott, dass sie es bei sich gehabt und genügend Mumm besessen hatte, es anzuwenden. Dass sie nicht in Hilflosigkeit erstarrt war.
»Abe.«
Er schaute auf und sah sie im Türrahmen, ihre Miene besorgt. Sie hatte ihn Abe genannt. »Sie sollen doch nicht aufstehen«, sagte er.
Sie humpelte über das alte Linoleum und nahm ihm die Tasse aus den Händen. »Ich bin nicht verletzt. Mir geht es gut.«
Es ging ihr wirklich besser, das konnte er sehen. Ihr Blick war schärfer, ihr Gesicht nicht mehr so blass. Aber von »gut« war sie noch meilenweit entfernt. »Genau. Deswegen haben Sie es auch noch nicht geschafft, im eigenen Haus den Mantel auszuziehen.« Seine Stimme war barscher, als er es beabsichtigt hatte, aber sie protestierte nicht, sondern zog einfach ihren Mantel aus. Darunter trug sie ein anthrazitfarbenes Kostüm mit einer fuchsiafarbenen Bluse, die sich eigentlich mit ihrem Haar hätte beißen müssen, es aber auf wundersame Weise nicht tat.
»Ist der Tee für mich?«, fragte sie.
»Falls er schmeckt. Sonst ist er für mich.«
Sie nippte an der Tasse. »Er ist gut. Kann ich Ihnen auch irgendwas machen? Sie sehen schlimmer aus als ich.«
Das nahm er ihr ohne weiteres ab. »Haben Sie etwas Stärkeres als Tee?«
»Ich trinke nicht, aber vielleicht habe ich etwas da.« Sie suchte in einem Schrank und holte eine noch ungeöffnete Flasche Whisky von einer sehr guten Marke hervor. »Die habe ich letztes Jahr auf der Weihnachtsfeier im Büro gewonnen. Wenn das Zeug nicht schmeckt, müssen Sie John Alden dafür verantwortlich machen.«
Er folgte ihr an den Küchentisch und setzte sich ihr gegenüber. »Und ob der schmeckt«, sagte er nach dem ersten Schluck. Alden hatte einen guten Geschmack. »Und Sie trinken nie? Warum nicht?«
Sie blinzelte. »Sie sind ziemlich neugierig.«
Er spürte, wie sich die Wärme des Whiskys in seinem Inneren ausbreitete und die Nerven, die von dem Ausflug in die Vergangenheit noch immer gereizt waren, langsam beruhigte. »Das bedingt der Job.«
Sie erkannte das Argument mit einem Nicken an. »Meine Schwester ist bei einem Autounfall getötet worden. Sie war betrunken. Ich hatte noch nie das Bedürfnis, das Zeug anzurühren.«
»Verständlich. Tut mir Leid.«
»Danke.«
Danach sagten sie nichts mehr, tranken jeder nur schweigend aus Tasse und Glas. Aber es war kein unbehagliches Schweigen, fand Kristen. Langsam gewöhnte sie sich daran, ihn in ihrer Küche sitzen zu haben, und diese Gewohnheit schuf eine Nähe, die, wie sie sehr wohl wusste, nur eine Illusion war. Nun, vielleicht war Wunschdenken der treffendere Ausdruck.
Es klingelte an der Eingangstür, und Reagan stand auf. »Das ist bestimmt Officer McIntyre. Er wollte noch eine Aussage von Ihnen.«
»Führen Sie ihn herein, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Kristen hörte, wie er die Tür öffnete und den Polizisten begrüßte. Dann fluchte er laut, und Kristen wusste, was er entdeckt hatte, noch bevor er mit der schlichten, braunen Schachtel in der Hand in die Küche kam.
»Dieser Mistkerl«, knurrte Reagan. »Wenigstens haben wir ihn jetzt auf Band.«
Kristen starrte die Schachtel an und spürte, wie ihre Glieder vor Müdigkeit schwer wurden. »Wir wussten, dass es über kurz oder lang passieren würde. Wollen Sie das Ding hier aufmachen oder im Büro?«
Reagan holte sein Telefon heraus. »Das muss Spinelli entscheiden.« Er verließ die Küche und
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