Desiderium
sprichst.«
»Nichts anderes habe ich erwartet.«
»Vielleicht möchtest du wissen, dass das Bild weggebracht wird, s obald geklärt ist, wer die Sehnsüchte entführt. Dem Museumsdirektor ist bekannt, dass es eine Leihgabe war und es uns deshalb zusteht.«
Ich beugte mich vor und stützte den Kopf auf den Händen ab. »Was wird mit den Sehnsüchten, ich meine mit den Schatten passieren, wenn das Gemälde in der Villa ist? Sie werden sicherlich versuchen, ihm zu folgen. Hältst du es für klug? Könnte das nicht zu weiteren Problemen führen?«
Er schenkte mir den Ansatz eines Lächelns. »Du klingst wie eine echte Auserwählte, das gefällt mir. Aber dir sollte bewusst sein, dass du nichts für sie tun kannst. Vermutlich werden sie bis dahin nicht mehr existieren …«
Das konnte ich nicht bestreiten. Auch wenn mir ein anderes Ende für sie besser gefallen würde. »Was machen wir eigentlich, wenn mir jetzt keiner von ihnen eine Frage beantworten kann, weil ihr freier Wille minimal ist?«
»Leider halte ich das sogar für wahrscheinlich. Ich hoffe, dass du stark genug sein wirst, um einen gewissen Einfluss auf sie auszuüben. Wenigstens für ein paar Minuten.«
Hoffnung? Wenn ich an die Momente in meinem Leben dachte, wo ich wirklich auf etwas gehofft hatte, dann waren wir verloren!
»Ich kann nichts versprechen.«
Henry hielt den Wagen meines Großvaters so nah wie möglich vor dem Museum.
Wir hatten das Gebäude gerade erst betreten, da erkannte ich, dass dieses Mal deutlich mehr Sehnsüchte herumgeisterten. Darragh schien davon nichts gewusst zu haben, laut ihm war es in den letzten Wochen ruhig gewesen? Wie war es überhaupt möglich, dass sie verschwanden, wo ich doch so oft bei den verschiedenen Portalen gewesen war?
Die Sehnsüchte selbst bemerkten mich ebenso schnell wie ich sie. Sie fixierten sich auf mich. Vermutlich entweder weil ich grundsätzlich die Auserwählte war oder weil sie spürten, dass ich erst vor kurzem in ihrer Welt gewesen war. Vielleicht sogar aus beiden Gründen.
Den Blick auf mich gerichtet und leise Geräusche von sich gebend, folgten sie mir. Einige von ihnen versuchten mir nahe zu kommen; ich spürte sie an meinem Arm oder meinen Haaren.
Pépé zuckte gelegentlich, immer dann wenn die Schatten wie ein Luftzug an ihm vorbeizischten, was ihnen einen letzten Rest Freude zu bereiten schien, doch seine Miene blieb unbewegt.
Zielstrebig steuerten wir auf das Landschaftsgemälde zu. Dieses Mal konzentrierte ich mich und ließ mich nicht von dem Berg, den saftig grünen Hügeln und der Mauer der Stadt der Echos ablenken. Wenn es mir nicht g elang, würde ich die falsche Sprache mit ihnen sprechen.
Schließlich sprachen die Sehnsüchte noch Französisch.
Die Gestalten ächzten und stöhnten wie Schlossgespenster es angeblich taten. Sie hatten unfreiwillig alles verlassen müssen, was sie gekannt hatten, sie gehörten nicht hierher, das spürten sie.
»Also ähm.« Hilfesuchend warf ich meinem Großvater einen Blick zu. Es war j edoch nicht er, der mir antwortete, sondern die Stimme in meinem Kopf, die wie Jarons klang.
Sieh sie an! Denk an das, was sie sind. Sag einfach, was du sagen willst. Du bist stark genug. Alles andere wird von selbst kommen.
Jetzt stand ihm oder zumindest seiner Stimme auch noch der Preis als beharrlichster Motivationstrainer zu. Ganz schlecht fürs Ego!
Wie zur Antwort nickte ich.
»Ihr könnt nicht zurück!« Ich beobachtete sie, ihre Gesten, ihre Gesichter. Sie waren gequält, unbeschreiblich schmerzverzerrt.
Ich verschloss mich weder vor dem Mitleid noch vor dem Gefühl der Sehnsucht, das sie auch in mir hervorriefen. Das war meine Stärke, so gewann ich Einfluss über sie. Indem ich mich in sie hineinversetzte. »Das Gemälde wird euch nichts bringen. Ihr müsst versuchen, euch davon zu lösen.« Es war heuchlerisch, dass ausgerechnet ich das sagte, aber so war der Job. »Alle, denen es gelingt, kommen zu mir!«
Fünfzehn verbannte Sehnsüchte blickten auf, zehn davon bewegten sich. Die anderen rannten weiterhin g egen das Bild. Unter denen, die zu mir kamen, war auch das kleine Mädchen, das mich beim letzten Mal angesprochen hatte.
Ich senkte die Stimme. »Kann mir einer euch sagen, woran er sich als Letztes erinnert – bevor ihr hier wart?«
Die Sehnsüchte sahen sich an, manche von ihnen tuschelten unruhig, ehe sie mich aus ihren toten Augen anstarrten.
»Licht«, sagte dann die Erste, eine hochschwan gere Frau im blauen Wickelkleid.
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