Desiderium
»Sehr helles Licht. Schmerzen.« Die Frau zog sich wieder zurück, ihr Blick wanderte zwischen dem Gemälde meines Vorfahrens und mir hin und her.
»Danke. Sonst noch jemand?«, fragte ich.
Ich spürte den Blick meines Großvaters im Rücken; er achtete genau darauf, wie ich mich bei dieser Aufgabe schlug. Und wie ich mit dem umging, was ich hörte.
»Schmerzen«, stießen ein, zwei von ihnen hervor. Solche, in deren A ugen ich sah, dass sie mich in der Welt der Sehnsüchte nicht einmal würden ansehen können. Kein freier Wille.
»Schmerzen«, echote ich.
»Was für Schmerzen?«, mischte sich mein Großvater ein.
»Eng, zusammengedrückt«, sagte der Erste.
»Als würde man etwas entreißen wollen«, fügte der Zweite hinzu.
»Da war ein Mann.« Das kleine Mädchen hatte das Wort ergriffen. Ihre kleinen geflochtenen Zöpfe fi elen ihr über den Rücken. »Ein böser Mann.«
»Hast du ihn sehen können? Wie sah er aus?«
Sie kämpfte mit sich, ihr kleines Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Kurz. Er hat mir und meiner Mama Angst gemacht. Mit einem spitzen, scharfen Ding.«
Der endgültig letzte Beweis dafür, dass sich die Eingeweihten irren konnten. Ich hätte mich direkt auf meinen Instinkt verlassen und früher mit dem Waffentraining beginnen müssen.
»Weißt du sonst noch etwas über den Mann?«
»Er war kalt. Er hat meinen Arm genommen und da war er ganz kalt. Und er hat davon gesprochen.« Sie deutete auf das Gemälde von Julien Durands. Auf den Teil, der die Stadt der Echos zeigte.
»Danke«, sagte ich erneut und beschwor eine Mauer in mir herauf, die mich mehr von den Sehnsüchten abschottete. Dann erzählte ich me inem Großvater, was ich erfahren hatte.
»Das sind nicht sehr viele Informationen«, bemerkte er skeptisch. Selbst sein Optimismus hatte Schwächen.
»Es reicht, um zu wissen, dass ich in die Stadt der Echos muss. Von da aus wird alles geleitet.«
Wieder etwas, was ich übersehen hatte. Wie hatte ich so dumm sein können und mich von ein paar minderbemittelten Sehnsüchten davon abhalten lassen, hinein zu gehen? Ich war die Auserwählte ohne deren Vorfahren sie überhaupt keine Welt hätten!
»Aber du weißt nicht von wem«, bedachte er. »Und wir reden von der Stadt der Echos.« Für jemanden, der nie zuvor da g ewesen war, hatte er gehörige Angst vor dieser Stadt.
»Dort steht ein Portal. Das ist unsere Chance herauszufinden, was passiert. Wir müssen in die Villa.« Ich warf einen letzten Blick zu den Sehnsüchten, für die es keine Hoffnung mehr gab. »Ich muss mich mit den Eingeweihten unterhalten, mit allen, die du innerhalb von zwanzig Minuten auftreiben kannst«, sagte ich zu ihm.
Henry hatte den Wagen auf der gegenüberliegenden Straße geparkt. Ob ihm bewusst war, dass er im Halteverbot stand, wusste ich nicht.
Die Fahrt zurück zur Villa verzögerte sich. Vor uns bewegte sich ein Doppeldeckerbus im Schneckentempo. Ungeduldig klopfte ich gegen die getönte Scheibe; mein Großvater bemerkte meine offensichtlichen Gefühle mit einem Schmunzeln. Wenn er wüsste, wie weit genau es von Zeit zu Zeit mit meinen Gefühlen stand, würde es ihm ganz schnell vergehen.
»Wozu brauchst du die Eingeweihten?«, wollte er wissen.
»Um zu planen.«
16. Entführe nie meine Sehnsucht!
Zurück in der Villa hörte ich gedämpft die Stimmen verschiedener Eingeweihter und das Klirren von Geschirr.
Arian e kam mir entgegen und bot mir etwas zu Essen an. Wie so oft in letzter Zeit warf sie mir einen besorgten Blick zu und meinte, ich hätte abgenommen.
Sie bekam nicht einmal eine Antwort von mir. Es gab Wichtigeres, um das ich mich kümmern musste.
Im Arbeitszimmer hatten sich fünf der Eingeweihten versammelt. Zwei von ihnen standen am Fenster und unterhielten sich gedämpft. Einer war Monsieur Chevalier, der sich die zusammengebundenen blonden Haare abgeschnitten hatte. Sie gingen ihm nur noch bis zu den breiten Schultern, die eher zu einem Sportler als zu einem Musiker passten. Die übrigen drei, von denen ich nur meinen häufigen Begleiter Monsieur Belliers namentlich kannte, hatten sich in der Sitzecke ni edergelassen und aßen etwas von Arianas hausgemachtem, mit Käse überbackenem Nudelauflauf.
Es passte nicht recht ins Bild.
Pépé , der hinter mir stand, und ich räusperten uns gleichzeitig.
»Mademoiselle Durands«, ergriff Monsieur Belliers das Wort. Hastig stellte er den Teller ab und erhob sich. » Comte Durands«, fügte er in einem absolut
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