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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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vor, um den Rand des Bildes nach einer Signatur abzusuchen, denn nirgendwo fand ich ein Schild, das mir die gesuchten Informationen gab. Erneut verschwammen die Farben vor mir, was nun jedoch auch mit der Tatsache, dass meine Augen sich noch immer nicht erholt hatten, zusammenhing.
    »Julien Durands«, sagte ich schließlich tonlos.
    Mein Urgroßonkel war ebenfalls auserwählt gewesen. Das erklärte, weshalb sein Porträt in der Villa hing, obwohl meine Großeltern nicht viel von ihm hielten. Auserwählte waren der Familie schließlich heilig, egal ob sie Schüler, Anwälte, Adelige oder eben Künstler gewesen waren.
    »Ihr Vorfahre hatte Talent, Mademoiselle Durands.«
    Nur am Rand bemerkte ich, dass Alice neben mir zusammenzuckte. Ich hingegen setzte das betont falsche Lächeln, das ich in letzter Zeit so oft verwendete, auf und drehte mich um.
    »Monsieur Belliers, was verschafft mir die Ehre, sie an einem freien Tag zu sehen?«
    »Der Zufall.« Monsieur Belliers’ Blick war derselbe wie meiner. Mir wurde klar, dass er seinen Respekt mir gegenüber vorheuchelte, wenn andere Eingeweihte in der Nähe waren. »Es ist nicht nur Ihr erster freier Tag seit langem. Wollen Sie mir verbieten, mich frei in der Stadt zu bewegen?«
    Ich trat einen Schritt vor. »Ve rkaufen Sie mich nicht für dumm! Ein Gemälde, das einen Teil der Stadt der Echos zeigt, eine Auserwählte und ein Eingeweihter treffen zufällig an einem Ort zusammen? Das reicht nicht einmal für einen schlechten Witz.« Ich konnte förmlich sehen, wie die Rädchen hinter seiner Stirn arbeiteten. »Sie haben keinen freien Tag. Sie sollten nachsehen, ob ich hierher komme. Mein Großvater wusste, dass mich das Bild anziehen würde, sobald ich in der Nähe bin.«
    Er war so entsetzt, dass es ihm die Sprache verschlug.
    Was für Memmen die meisten Eingeweihten waren!
    »O nein, wo bleiben nur meine Manieren? Entschuldigen Sie bitte vielmals. Die junge Frau neben mir ist Alice Monroe, eine vollkommen normale, siebzehnjährige Schulkollegin von mir, mit der ich meine freie Zeit verbringe. Alice.« Ich winkte sie näher zu uns heran. »Ich hab dir von diesem freundlichen Herrn bereits erzählt: Monsieur Belliers, der Eingeweihte mit dem Hobby, mich zu stalken.«
    Das brachte ihn endgültig an den Rand eines Zusammenbruchs: »Sie haben noch jemanden eingeweiht? Sind Sie vollkommen wahnsinnig? Reicht es nicht, dass wir uns bereits mit Ihrem Trainer herumschlagen müssen?«
    »O Sie müssen sich also mit Jaron herumschlagen? Was machen Sie denn Schönes zusammen? Zum Friseur gehen auf jeden Fall nicht, wenn ich mir Ihre möchtegernjugendlichen, blonden Strähnchen ansehe. Vorschlag: Sie ändern ihre Haarfarbe und kümmern sich um ihren eigenen Kram. Wir werden uns bei meinem nächsten Übergang in aller Frische sehen, wo ich mich um Jaron kümmern werde, schließlich ist er mein Trainer. Sie haben damit rein gar nichts zu tun. Haben wir uns verstanden, Monsieur Belliers?«
    Er schnaubte verächtlich. »Glauben Sie, ich lasse mich so von Ihnen behandeln?«
    »Es ist mir egal. Verschwinden Sie oder ich werde schreien, bis alle auf uns aufmerksam werden. Ich werde Dinge erzählen. Nichts, was meine Familie bedrohen könnte, aber genug. Und sollte mein Großvater mich später dazu befragen, werde ich ihnen die Schuld zuschieben. Wem wird er mehr glauben, seiner Enkelin oder Ihnen?«
    Ich war mir für keinen Trick zu schade.
    »Wussten Sie, dass ihr Vater hier war?«, fragte er, nachdem er sich bereits einige Schritte entfernt hatte.
    Der ein oder andere Besucher sah uns kurz an, ging aber wortlos weiter. Alice und ich tauschten einen Blick.
    »Mein Vater kannte Julien Durands persönlich, er wusste, woher dieses Bild kommt. Was spricht also dagegen, dass er es sich angesehen hat?«
    »Zufälligerweise traf ich ihn einen Tag vor seinem Verschwinden. Er stand vor diesem Bild und murmelte etwas über Ihre Mutter und … Sehnsucht.«
    »Sie lügen!«
    »Ach ja?«
    »Sie lügen! Sie versuchen mich aus der Fassung zu bringen, aber das wird Ihnen nicht gelingen«, betonte ich ohne mich zu verstellen.
    Seine Stimme veränderte sich. »Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass sie kalt sind, Mademoiselle Durands? Als würde Sie nichts anderes interessieren als ihre Pflicht und ihr eigener Nutzen. Denken Sie mal darüber nach.« Dann ging er.
    Eine Weile starrte ich ihm nach, ließ zu, dass mich weitere Besucher versehentlich anstießen, ignorierte das empörte Gemurmel eines

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