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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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sammelte; vereinzelt sah ich einige Spinnweben oder Krabbeltiere.
    Die Gestalten, an denen wir vorbeikamen, waren nicht mehr als das: Gestalten, Hüllen. Ihre Körper waren blass, ihre Arme hingen schlaff herunter, ihre Beine waren geknickt – als würden sie jeden Moment auf die Knie fallen. Aus den eingefallenen Gesichtern stachen die Augen hervor: Ausdruckslos, ohne den Funken einer Emotion. Nicht einmal die teuer aussehende, farbenfrohe Kleidung einiger veränderte diesen Eindruck.
    In den letzten Wochen hatte ich gedacht, man wü rde in dem Werk meiner Vorgänger zwischen drei Arten von Sehnsüchten entscheiden: Den Gegenständen beziehungsweise den wenigen Zuständen, dann Zombies und denen, die mindestens einen Funken freien Willen hatten – wie Jaron, auch wenn er dazu auch noch zu viel Selbstbewusstsein abbekommen hatte. Aber hier erkannte ich, dass es noch einen tieferen Rang in der Hierarchie gab. Denn das hier war weder ein Leben noch eine Existenz. Das war … gar nichts.
    Ich erinnerte mich an das , was Darragh Jaron und mir einmal über die Stadt der Echos erzählt hatte:
    »In der Stadt der Echos wandeln die vergessenen Sehnsüchte. Keine davon ist erfüllt worden, ihre Verbundenen haben sich irgendwann einfach etwas Anderes gesucht. Des Weiteren leben dort die, deren Verbundenen kürzlich gestorben sind. Die Sehnsüchte verschwinden danach nicht sofort. Sie vergehen ganz allmählich, werden krank, bis sie sich schließlich nach quälenden Momenten, vielleicht aber Tagen, Wochen oder Monaten in Nichts auflösen. Sie verschwinden, ohne dass etwas von ihnen bleibt.«
    »Arme Schweine «, war Jarons geistreicher Kommentar gewesen.
    Taktgefühl war wohl bei uns beiden nicht gerade eine Stärke!
    In der Gegenwart wandte ich den Blick von einem Mann ab, der sich am anderen Ende der Straße auf dem Boden krümmte. »Wie kann es sein, dass es diesen Ort gibt?«, fragte ich.
    Darragh lachte humorlos. »Um das Gleichgewicht zu erhalten.«
    Natürlich, immer das Gleichgewicht. »Noch ein Gleichgewicht? Reicht nicht das zwischen meiner und deiner Welt?«
    Darragh wa rf mir einen warnenden Blick zu. »Bist du eigentlich verrückt, hier offen zu reden?«, zischte er mich an.
    Ich machte einen Schritt zurück. »Das stört dich sonst auch nicht.« Trotz meines schwächlichen Zuckens erwiderte ich seinen bösen Blick mit derselben Intensität.
    »Es besteht.« Und nun hatte der immer noch temperamentvolle Wäc hter einen Ton angenommen, als rede er mit einem kleinen Kind. »ein deutlicher Unterschied, ob du draußen auf dem Trainingsplatz redest oder hier. Hier unter den Verdammten!«
    Fanatiker Nummer drei, schoss es mir durch den Kopf.
    »Okay, okay. Ich hab’s verstanden. Stell dir vor, ich habe auch ohne jede Regel der Eingeweihten zu kennen, etwas im Kopf.«
    Er erwiderte darauf nichts, schwieg weitere zwei Minuten.
    Gemeinsam gingen wir auf die beiden Türme zu – das Auffälligste, vielleicht sogar Hübscheste, das diese Stadt zu bieten hatte. In Form und Farbe erinnerten sie mich an eine kleinere Version des Big Ben.
    » Ach ja: In Maßen unterliegt diese Stadt anderen Regeln. Innerhalb dieser Mauern kann es also durchaus dazukommen, dass die Bewohner uns angreifen werden, wenn wir etwas tun, was ihnen nicht gefällt.«
    »Jaron meinte, es sei unwahrscheinlich, dass ich kämpfen müs ste. Dass es unmöglich sei.«
    » Jaron kennt diese Stadt nicht. Er weiß längst nicht so viel, wie er zu wissen glaubt. Und dieses Halbwissen konnte er schon immer sehr überzeugend präsentieren. Wenn er es für nötig hält, blendet er gerne – beispielsweise um andere zu beeindrucken und er …«
    »Wenn du deinen besten Freund genug schlecht gemacht hast, sagst du mir dann, warum du mir das gerade jetzt erzählst? Keiner von denen sieht so aus, als wolle er im nächsten Moment über mich herfallen.«
    »Eben weil ich ihn kenne«, zog er sich aus der Affäre. »J aron ist, wie du schon richtig bemerkt hast, mein bester Freund. Er kennt nicht immer seine Grenzen, auch wenn er im Grunde ein guter Kerl ist. Ich will einfach nur, dass keiner etwas tut, was er später bereuen würde.« Wer auch immer Darragh freien Willen ließ, er sollte ihn ganz schnell einschränken. »Von der Möglichkeit, angegriffen zu werden, erzähle ich dir, damit du nicht unvorbereitet bist. Wie gesagt, in dieser Stadt kann einiges anders sein.«
    »Ich dachte , die heiligen Durands- Gene retten mich vor allem«, erwiderte ich mit einem schiefen

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