Desiderium
verschwanden nicht, weil der Einbrecher auf das Regal geklettert, spontan das Fliegen gelernt oder sich in Luft aufgelöst hatte, sondern weil es der einzige Raum war, der vollkommen frei von Staub war.
In einem der Nachbarräume gab jemand einen Laut von sich, als hätte er sich gestoßen.
Darragh zückte sein Schwert – der Fortschritt war noch nicht bei Pistolen angekommen – und bedeutete mir, mich nicht zu bewegen. Dann verschwand er in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren. Ohne lange darüber nachzudenken, folgte ich ihm. Darragh bewegte sich gezielt und aufmerksam, das Schwert in kampfbereiter Haltung. Ich beobachtete aus dem Hintergrund. Wir hatten unser Ziel noch nicht erreicht, als ein Splittern von der anderen Seite des Hauses ertönte. Ein weiteres Fensterglas ging in die Brüche.
Darragh veränderte seine Haltung und rannte an mir vorbei, dem neuen Geräusch folgend. Dieses Mal blieb ich stehen, wo ich war.
Es verging keine Minute, bis er fluchend zurückkehrte.
»Der Kerl ist fort«, brummte er. »Durchs Fenster geflohen. Er muss bemerkt haben, dass wir keine Bewohner der Stadt sind.« Die Wut stand ihm ins Gesicht geschri eben.
»Aber was wollte er hier? Ich habe hier keine Wertsachen gesehen, die es sich zu klauen lohnt. «
»Es gibt keine typischen Einbrecher in dieser Welt. Nicht einmal in dieser Stadt. Alles, was du hier zerstört siehst, ist das Produkt der E igenheiten«, wiederholte er gereizt. »Und wenn meine Vermutungen stimmen, gibt es hier durchaus etwas Wertvolles – für dich. Das solltest du nicht vergessen.«
Er eilte zurück in den ersten Raum und begann, ihn zu durchsuchen. Grob öffnete er die Schubladen unter dem Nachttisch, zerlegte das Bett und hob mithilfe seines Schwertes eine lockere Bodendiele an.
»Zu zweit haben wir wesentlich bessere Chancen, etwas zu finden, b evor du zurückmusst«, bemerkte er zwischen zwei Atemzügen, ehe er ein weiteres Brett herausholte.
Ohne die Hektik, die ihn erfasst hatte, wandte ich mich der Truhe und dem Bücherregal zu. In Ersterem befanden sich drei Wolldecken, ein kaputter Bilderrahmen ohne Bild und verstaubte Porzellanfiguren. Dazu noch ein in Leder gebundenes Lexikon über Pflanzen.
Dann fiel mein Blick auf das Bücherregal.
Das wäre doch zu einfach … Dennoch ging ich darauf zu und sah mir die einzelnen Bücher an, zog gelegentlich eines heraus, um den Titel lesen zu können. Es überraschte mich, dass keines von ihnen veraltet oder zerstört war.
»Spürst du etwas?«, wollte Darragh wissen, als ich über die Bücher im obersten Regal mit einem Finger strich. Erneut stand er ungewohnt nah hinter mir. Seine Hand legte sich auf meine. »Das Buch soll von einem deiner Vorfa hren geschrieben worden sein. Ich dachte mir, du würdest vielleicht etwas spüren, wenn das Notizbuch in deiner Nähe ist. Deshalb wollte ich dich mitnehmen.«
»Wie beruhigend und ich dachte, ich sei nur dazu da gewesen, für dich einzubrechen.«
Ich drehte mich zu ihm um.
Meine Augen weiteten sich, als sein G esicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Mein Herz schlug schneller, was er mit einem missverständlichen Lächeln quittierte.
Was war he ute mit ihm los?
»Und? Spürst du irgendetwas?« Der anzügliche Ton war derselbe, mit dem Jaron mich schon einmal versucht hatte zu ärgern.
Ich schluckte. Darragh kam näher, sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt. Er würde doch wohl nicht …
Eine allzu vertraute Stimme räusperte sich. »Störe ich?«
»Jaron!« Meine Stärke kehrte zurück. Ich stieß Darragh von mir und brachte Distanz zwischen uns.
»Warum hast du mir nicht erzählt, dass man auf diese Weise das Tagebuch der Auserwählten bekommt? Dann hätte man das doch schon vorher erledigen können«, fragte Jaron Darragh. Noch immer war der Kampf in seinen Augen nicht zu übersehen. Aber als er seinen besten Freund ansah, kam etwas Kälteres hinzu.
»Was machst du hier?«, entgegnete Darragh. »Ich denke, du triffst dich mit Lillian.«
»Pläne ändern sich«, wich Jaron aus. »Ich war nicht lange da. Dann dachte ich mir, ich könnte doch einfach nachkommen. Sechs Augen sehen mehr als vier. Aber offenbar … braucht ihr mich nicht.« Während er sprach, sah er mich kein einziges Mal an. Sein Ton war zwanglos und locker, aber sein Blick wurde nicht weicher.
Ich räusperte mich vernehmlich. » Du kommst gerade rechtzeitig.« Die Zweideutigkeit meiner Worte war mir durchaus bewusst.
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