Desiderium
Blick. Noch immer hatten wir unsere Stimmen gesenkt.
»Rein theoretisch schon. Wenn du aber wie eine Salzsäule d astehst, werden dir die besten Gene und Reflexe nicht helfen.«
Kurze Zeit später blieben wir vor einem heruntergekommenen Haus stehen. Der Lack der grünen Eingangstür blätterte ab, die kaum übersehbare Kette mit Vorhängeschloss daran, rostete. Im ersten Stock war ein Fenster eingeschlagen.
Was sollte das sein? Das Ghetto der schwarzen Stadt?
»Die Auserwählte, die das Tagebuch geschrieben haben soll …«, begann Darragh, als ich ihm einen fragenden Blick zuwarf. »betrat diese Welt versehentlich, als ihr Vorgänger noch aktiv war. Besagter Vorgänger verschanzte sich daraufhin in diesem Haus, bis seine Zeit überschritten war. Er litt unter Verfolgungswahn. Zwei Tage später fand die Auserwählte seine Leiche und brachte ihn zurück in das heutige Deutschland, wo er beerdigt wurde. Die Auserwählte zog sich in den folgenden Jahren oft hierher zurück. Deshalb glaube ich, dass wir das Tagebuch hier am ehesten finden werden.«
Ich ließ mir nicht anmerken, dass mein Körper auf diese Geschichte reagierte. Übelkeit stieg in mir auf. »Tja, aber so wie ich das s ehe, ist die Tür verschlossen. Ende der Reise«, bemerkte ich mit verschränkten Armen.
»Türen kann man auch ohne Schlüssel öffnen!«
»Ich dachte, ihr Sehnsüchte könnt nichts Illegales tun. Zumindest ihr halbwegs normalen.« Auch wenn ich definitiv nicht glaubte, dass irgendeine Sehnsucht normal war. »Oder ändert ihr euch auch, wenn ihr die schwarze Stadt betretet?« Ich verbannte den Spott absichtlich nicht aus meiner Stimme.
»Nein. Du hast recht. Du hingegen hast alle Freiheiten.«
»Ich hingegen kenne den Unterschied zwischen verboten und nicht verb oten allerdings schon mein ganzes Leben lang.« Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Noch eine halbe Stunde.
Darragh grinste. »Du bekommst bei einem Türschloss Skrupel?! Komm schon, Cassim, das kannst du mir nicht ernsthaft weismachen wollen.« Es war das erste Mal, dass er so mit mir sprach.
»Ich mach’s. Hast du ein Stück Draht für mich?«
Nr. 11: Tu nichts, das auch in deiner Welt verboten ist.
Die wievielte Regel breche ich damit?
In dem Haus roch es alt und vermodert. Ein kalter Luftzug trieb eine Gänsehaut auf meine Arme. Wenn die Fenster nicht zerbrochen waren, waren sie so verdreckt, dass nichts von dem wenigen Licht hindurch fiel. Staub wirbelte auf, als ich auf den dicken Teppich mit asiatischen Schriftzeichen trat.
»Sehen alle Häuser in dieser Stadt so aus?«, fragte ich le ise.
»So weit ich weiß, die meisten«, erwiderte Darragh mit tieferer Sti mme. Er stand direkt hinter mir. Ich konnte seinen Atem in meinem Nacken spüren, seine Schulter berührte meinen Rücken. Doch im Gegensatz zu den Momenten, in denen Jaron mir so nah war, reagierte mein Körper nicht weiter darauf.
Ich entfernte mich von ihm und trat näher an eine Vitrine, in der sich ein zerbrochener Spiegel befand.
Sieben Jahre Pech für den Verursacher !
»Aber …«
Bevor ich schreien konnte, legte sich eine Hand auf meinen Mund; die andere um meine Taille. Meine Beine strampelten erfolglos, fanden kein Ziel, als ich versuchte, nach der Person hinter mir zu treten.
»Hör auf dich zu wehren !«, raunte Darragh. »Und sei still!« Mit einem Rucken meines Kopfes zwang er mich auf den Boden zu sehen:
Zwischen der zentimeterdicken Staubschicht auf dem Boden waren Fußabdrücke, die weder nach meinen Ballerinas noch nach Darraghs Stiefeln aussahen.
Ruckartig riss ich mich von Darragh los und kniete mich hin. Ohne seinem leisen Fluchen Beachtung zu schenken, strich ich über einen der Abdrücke. Als ich die Hand wieder hob, sah ich, dass kein Staub an meinen Fingern blieb.
»Die sind frisch«, schloss ich mit gesenkter Stimme. » Keinen Tag alt. Jemand war vor uns hier.«
Darragh nickte. »Oder ist es immer noch!«
Zusammen folgten wir den Fußabdrücken, darauf bedacht keinen Laut von uns zu geben und keine Spuren versehentlich zu verwischen. Auf Zehenspitzen gingen wir die Treppe, deren Geländer zur Hälfte zerstört war, hoch.
Im ersten Stock angekommen betraten wir ein kleines Schlafzimmer , in dem sich nichts weiter befand als ein Bett, ein Nachttisch, ein Schreibtisch, eine Truhe und ein Bücherregal, das eine gesamte Wand für sich beanspruchte. Die Fußabdrücke endeten – mitten im Raum.
»Was zum …?«, sagte Da rragh neben mir leise.
Die Fußabdrücke
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