Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
zu blättern, als sie erneut ein Geräusch vernahm und aufblickte.
Ihr Herz machte einen Satz. Um ein Haar hätte sie den Kasten fallen gelassen. Eine Gestalt stand in der Tür, eine Gestalt, die ihr wohlbekannt war, mit einem bösen Lächeln im Gesicht und harten Augen.
In der einen Hand hielt sie eine Akte, in der anderen ein tödliches Messer mit einer langen Klinge.
Und auf dem Fußboden, gleich neben der Tür, lag ein altes vergilbtes Brautkleid.
Montoya verfolgte das Bieten auf die beiden Stühle. Schließlich verkündete Dr. Sam: »Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten! Die Stühle gehen an die Nummer 514 !« Die Lehnsessel wurden an die Seite geschoben und der weiße Flügel ins Rampenlicht gerückt.
»Hier haben wir ein echtes Juwel«, sagte Vater Thomas mit einem breiten, glücklichen Lächeln. »Gespendet von Arthur und Marion Wembley: ein original Steinway-Louis-quinze-Flügel!« Dr. Sam fügte ein paar weitere Details zu diesem edlen Stück hinzu, während Vater Thomas voller Stolz auf den Flügel blickte. Soeben klappte ein ehrenamtlicher Helfer den Deckel auf und machte sich daran, ihn abzustützen.
Dr. Sam, die gleich daneben stand, verfolgte das Geschehen, ohne ihre Erläuterungen zu unterbrechen. »Es geht das Gerücht, dieses seltene, unvorstellbar kostbare Instrument sei gespielt worden von –« Abrupt hielt sie inne, ihre Augen weiteten sich, und sie stieß einen Schrei aus, der durch die ganze Turnhalle gellte. Der Helfer, der damit beschäftigt gewesen war, den Deckel zu sichern, ließ ihn mit einem lauten Krachen zufallen.
»O mein Gott!«, stammelte er und schreckte zurück. »O mein Gott!«
Alle Gäste reckten sich und versuchten zu erkennen, was da vorn vor sich ging.
Unsicherheit breitete sich aus. Furcht.
Montoya zögerte nicht eine Sekunde und rannte zum Podium. Dr. Sam und der Ehrenamtliche starrten das glänzend weiße Instrument an, als wäre es der gähnende Schlund der Hölle.
»Rufen Sie die 911 !«, schrie Samantha ins Mikrofon, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.
Die Menge schnappte nach Luft.
Verwirrung machte sich breit.
Dutzende Gäste griffen nach ihren Handys.
Vater Pauls Gesicht hatte denselben Ausdruck angenommen wie das der Radiopsychologin: schneeweiß und entsetzt. »Wenn Sie bitte Ruhe bewahren würden …«
Montoya zog im Laufen seine Marke aus der Jackettjacke und hielt sie in die Höhe. »Polizei!« In zwei Sätzen war er auf dem Podium und beim Flügel.
»Bitte bewahren Sie Ruhe«, wiederholte er Vater Pauls Worte. »Bleiben Sie auf Ihren Plätzen. Meine Kollegen und ich werden die Sache klären.«
Keiner glaubte ihm, das spürte er.
Montoya hob den Deckel des Flügels, dann machte er ein paar hastige Schritte zurück, weil ihm der Geruch verfaulenden Fleisches in die Nase stieg.
Der Geruch des Todes.
Im Innern des Flügels, auf Stimmwirbeln und Saiten, lag der Leichnam einer Frau. Sie trug ein zerschlissenes Brautkleid, um ihren Hals lag eine Kette aus getrocknetem Blut, ihr Gesicht war eine Maske blanken Entsetzens. Unter ihr hatte sich eine Blutpfütze gesammelt. Zwischen den Fingern hielt sie einen Rosenkranz.
»Gott steh uns bei«, sagte Vater Frank, der neben den Flügel getreten war, dann bekreuzigte er sich und wandte den Blick ab.
Montoya drehte sich der Magen um. Frustriert presste er die Kiefer aufeinander. Fast hätte er gewürgt, als er in das angstverzerrte, leblose Gesicht von Schwester Louise Cortez blickte.
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Kapitel einundfünfzig
V al schlich barfuß durch das dunkle Treppenhaus. Sie hatte die Schuhe ausgezogen und mit einem davon die Tür blockiert. So konnte Slade ihr folgen. Den anderen Schuh in der Hand, hielt sie nun auf das Licht am Fuß der Treppe zu. Sie wünschte sich, sie trüge ihre Tennisschuhe und etwas anderes als dieses schmal geschnittene Kleid, doch sie hatte ihre Tasche mit der Kleidung zum Wechseln und der Taschenlampe im Pick-up gelassen.
Während sie in der Nähe der Tür zur Kellertreppe auf Slade gewartet hatte, hatte sie jemanden kommen hören und sich rasch in einem kleinen Erker versteckt, in dem einst ein Trinkbrunnen untergebracht gewesen war. Sie hatte die Mutter Oberin von St. Marguerite erkannt. Als diese die schwere Tür aufgesperrt hatte und dahinter verschwunden war, war Val durch den Flur geschossen und hatte die Tür aufgefangen, bevor sie ins Schloss fallen konnte.
Plötzlich war die Treppenhausbeleuchtung erloschen, und Valerie hatte ihre Schuhe
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