Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
Er blickte zur Seite, bevor Montoya seinen Gesichtsausdruck deuten konnte.
»Kanntest du Camille von der Highschool?«, fragte Montoya.
»Nein«, antwortete Vater Frank glaubhaft und schaute Montoya in die Augen. »Sie … sie war um einiges jünger als ich. Ich bin ihr damals nicht begegnet, aber ich kannte ihre ältere Schwester.«
»Valerie?«
»Genau.«
»Bist du mit ihr gegangen?«
»Nein.« Sie tauschten einen Blick aus. Damals hatte Frank O’Toole, der Sportler, Adonis und Frauenheld, bei den Mädchen von St. Timothy nichts anbrennen lassen. Wie um alles in der Welt hatte er sich später dem Priestertum und einem Leben im Zölibat verschreiben können? Für Montoya ergab das keinen Sinn.
Als hätte O’Toole seine Gedanken erraten, sagte er: »Als meine ältere Schwester Mary Louise an einem Lymphom erkrankte, bin ich einen Handel mit Gott eingegangen. Ich versprach, Priester zu werden und mein Leben Gott zu widmen, wenn er sie verschonte.«
»Und hat es funktioniert?«, fragte Montoya, der versuchte, sich an Mary Louise zu erinnern.
»Mary ist letztes Jahr gestorben, aber nicht an der Krankheit. Die hatte sie mit Gottes Hilfe besiegt. Sie ist auf einem Zebrastreifen von einem alten Mann überfahren worden, der die Bremse mit dem Gaspedal verwechselt hatte.« O’Toole seufzte wieder und rieb sich das Gesicht, die Bartstoppeln kratzten an seinen Fingern. »Zum Glück war sie sofort tot.«
»Denkst du, Gott hat seinen Teil der Abmachung erfüllt?«
»Schwer zu sagen«, flüsterte er. »Ich bin nicht arrogant genug, um mich für so wichtig zu halten, dass der heilige Vater meine Schwester als Bauernopfer in einer Glaubensversion von
Wahrheit oder Pflicht
setzt. Dennoch war der Tod von Mary Louise für mich eine Glaubensprüfung, eine Prüfung meiner Berufung.«
»Und die hast du bestanden?«, erkundigte sich Montoya.
Franks Mundwinkel zuckte, doch sein Gesichtsausdruck blieb finster. »Das muss Gott entscheiden.«
»Was ist mit dem Opfer? Was ist deiner Meinung nach mit Camille passiert?«
»Ich wünschte, ich wüsste es«, sagte Frank inbrünstig, doch er wich dabei Montoyas Blick aus.
»Dann kanntest du also Valerie?«
»Von der Highschool, ja.«
»Und Valerie lebt jetzt in Texas?«
»Nein. Sie ist hier.«
»Hier? In New Orleans?«, fragte Montoya erstaunt und machte sich im Geiste eine Notiz. Hatte Schwester Charity nicht behauptet, Valerie würde in einer Kleinstadt in Ost-Texas wohnen?
Der Priester nickte. »Ich glaube, sie besitzt ein Bed & Breakfast im Garden District. An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, nur daran, dass Schwester Camille erwähnt hat, Valerie sei irgendwann in den letzten zwei Jahren nach New Orleans zurückgekehrt.« Seine Stimme klang leise, abwesend. Als würde er versuchen, sich genauer an das Gespräch zu erinnern.
»Hat Camille sich öfter mit dir unterhalten?«
»Manchmal«, erwiderte Frank.
»Wie oft?«
»Ein paarmal die Woche, manchmal seltener.«
»Hat sie je irgendwelche ehemaligen Freunde erwähnt?«
»Du meinst, abgesehen von dir?« Frank zog eine dunkle Augenbraue in die Höhe.
Montoya beherrschte sich. »Ich meine jemanden, der ein Interesse daran hätte haben können, ihr Schaden zuzufügen.«
»Nein.«
»Hatte sie Feinde?«
Vater Frank schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht viel über ihr Privatleben«, sagte er. »Wenn du dich nach ihren Beichten erkundigen willst, muss ich dich darauf hinweisen, dass sie ausschließlich Gott und sie selbst etwas angehen.«
»Und dich.«
»Oder Vater Paul.« Sein Lächeln konnte nicht unbedingt als warmherzig bezeichnet werden. »Vielleicht solltest du mit Schwester Lucy oder Schwester Louise reden. Die drei schienen sich sehr nahezustehen.« Plötzlich wirkte er erschöpft, beinahe gereizt. »Gibt es sonst noch was?«
»Ich denke, das war’s für den Augenblick. Wenn mir noch etwas einfällt …«
»Natürlich, Reuben. Ruf mich einfach an.« Er bedachte Montoya mit einem freudlosen Lächeln, stand auf und verließ die Apsis. Seine dunkle Soutane bauschte sich und gab den Blick frei auf einen Fleck oberhalb des Saums.
»Vater Frank?«
Der Priester drehte sich um, das Gesicht bemüht geduldig.
»Da ist etwas unten an deiner Soutane.« Montoya deutete auf den Fleck, der sich dunkel glänzend von dem schwarzen Stoff abhob.
»Was denn?« O’Toole blickte nach unten und entdeckte die Stelle. »Ich war draußen im Regen …«
Montoya fiel wie ein Betender auf die Knie und berührte
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