Désirée
verehrteste Kaiserin, zum Beispiel. Immer offene Rechnungen bei Le Roy. Ich stehe natürlich Ihrer Majestät stets zu Diensten.« Was –? Will er andeuten, dass er die Kaiserin – bezahlt? Für Spitzeldienste? Das ist wahnsinnig, dachte ich. Und wusste gleichzeitig: Es istwahr. »Manchmal ist es nicht uninteressant, die Korrespondenz eines Mannes zu beobachten. Man erlebt Überraschungen. Überraschungen, die mich nicht interessieren, aber vielleicht eine – Gattin.«
»Bemühen Sie sich nicht«, sagte ich angeekelt. »Sie werden herausfinden, dass Jean-Baptiste seit Jahren an Madame Récamier schreibt und von ihr zärtliche Briefe erhält. Madame Récamier ist eine kluge und sehr gebildete Frau, und es ist für einen Mann wie meinen Jean-Baptiste ein großes Vergnügen, mit ihr zu korrespondieren.« Dabei würde ich viel darum geben, die geistvollen Liebesbriefe, die Jean-Baptiste an die Récamier schreibt, lesen zu dürfen, dachte ich gleichzeitig. »Und jetzt müssen Sie mich wirklich entschuldigen, ich muss Jean-Baptistes Zimmer in Ordnung bringen!«
»Nur einen Augenblick, verehrte Fürstin: Würden Sie so gütig sein und dem Fürsten einen Bescheid von mir bestellen?«
»Bitte. Worum handelt es sich?«
»Der Kaiser befindet sich in Schloss Schönbrunn in Wien. Es ist mir daher nicht möglich, ihn rechtzeitig zu benachrichtigen, dass die Engländer Truppen gesammelt haben und beabsichtigen, in Dünkirchen und Antwerpen an Land zu gehen. Sie wollen von der Kanalküste aus direkt nach Paris marschieren. Deshalb werde ich auf eigene Verantwortung, um für die Sicherheit des Landes zu sorgen, die Nationalgarde einberufen. Ich bitte den Marschall Bernadotte, sofort nach seiner Ankunft den Oberbefehl über diese mobilisierten Truppen zu übernehmen und Frankreich zu verteidigen. Das ist alles, Madame.« Mein Herzschlag setzte aus. Ich versuchte, mir alles vorzustellen. Landgang der Engländer. Angriff der Engländer. Marsch auf Paris. Alle Marschälle sind an der Front im Ausland. Wir haben so gut wie keine eigenen Truppen imLand. Und England greift Frankreich an … Fouché spielte wieder mit der kleinen Bonbonniere. »Der Kaiser misstraut ihm – und Sie – Sie wollen ihm den Oberbefehl über die Nationalgarde geben, die unsere Grenzen halten soll?«
»Ich selbst kann nicht kommandieren, Fürstin. Ich bin ein ehemaliger Mathematiklehrer und war niemals – Sergeant. Der Himmel sendet mir einen Marschall nach Paris, dem Himmel sei Dank! Wollen Sie meinen Bescheid dem Fürsten bestellen?« Ich nickte nur. Begleitete ihn zur Tür. Plötzlich fiel mir etwas ein. Fouché ist doch so schlau, vielleicht ist das Ganze eine Falle. »Aber ich weiß nicht, ob mein Mann den Oberbefehl übernehmen wird, wenn es ohne Wissen Seiner Majestät geschieht«, sagte ich. Fouché stand dicht neben mir. Er muss ein Magenleiden haben, sein Atem riecht schlecht. »Seien Sie ruhig, Madame, wenn es gilt, Frankreichs Grenzen zu verteidigen, so wird Marschall Bernadotte den Oberbefehl übernehmen.« Und kaum hörbar: »Solange er noch Marschall von Frankreich ist.« Dann küsste er mir die Hand und ging. Und noch am selben Abend hielt Jean-Baptistes Wagen vor unserem Haus. Jean-Baptiste wurde nur von Fernand begleitet. Nicht einmal seine Personaladjutanten hatte er mitgenommen. Zwei Tage später reiste er wieder ab. Und zwar an die Kanalküste.
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Villa la Grange bei Paris,
Herbst 1809.
I ch habe jetzt sehr wenig Zeit, um irgendetwas aufzuschreiben. Ich bin nämlich den ganzen Tag mit Jean-Baptiste zusammen und versuche, ihn aufzuheitern.
Fouché hat damals die Gefahr nicht übertrieben. Die Engländer gingen wirklich an der Kanalküste an Land und eroberten Vlissingen. Innerhalb weniger Tage vollbrachte Jean-Baptiste das Wunder, Dünkirchen und Antwerpen so stark zu befestigen, dass nicht nur alle englischen Angriffe zurückgeschlagen wurden, sondern auch zahllose englische Soldaten und sehr viel Kriegsbeute in seine Hand fielen. Die Engländer erreichten mit Mühe und Not bei Dünkirchen wieder ihre Schiffe und sind geflohen. Diese Nachrichten haben den Kaiser im Schloss Schönbrunn in furchtbare Aufregung versetzt. In seiner Abwesenheit hatte ein Minister es gewagt, die Nationalgarde einzuberufen und gerade jenen Marschall, der unter polizeiliche Aufsicht gestellt war, zum Oberbefehlshaber zu ernennen … Gleichzeitig musste Napoleon öffentlich anerkennen, dass Fouché mit Hilfe Jean-Baptistes Frankreich gerettet hat.
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