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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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hat doch nicht der Kronprinzessin vonSchweden gegolten. Nur der Marschallin Bernadotte. Und die gibt es gar nicht mehr …« Es begann zu dämmern, der süße Wind wurde kühler, ich konnte wieder atmen. Ein Reiter überholte uns. Wahrscheinlich ein Kurier des Kommissars Becker, der der Regierung melden sollte, dass alles vorüber war. Ich legte den Kopf zurück und sah in den grünblauen Abendhimmel. Die ersten Sterne schimmerten auf. Vorüber – ja, vorüber … Ich konnte mir nicht vorstellen, jemals wieder diesen Wagen zu verlassen, Menschen zu sehen, zu denken, zu handeln. »Es schickt sich nicht, aber vielleicht könnten Sie meine Hand halten, Graf – ich bin so müde und so allein.« Scheu legte er seine Finger auf meine. Als wir die Vorstädte erreichten, schlug bereits Dunkelheit über uns zusammen. Vor allen Haustoren drängten sich flüsternde Gruppen zusammen. Jetzt hat Napoleon schon seinen Zivilanzug angezogen, dachte ich. Jetzt reist er schon der Küste zu, seine Mutter hat ihm belegte Brote mitgegeben, er tritt eine lange Reise an, Paris ist gerettet … In der Nähe der Rue d’Anjou stießen wir auf eine Menschenmenge, die sich unaufhaltsam vorwärts schob. Wir mussten halten. Aus der Rue d’Anjou drang dumpfes Brausen. Plötzlich rief jemand: »La Princesse Royale de Suède –!« Der Ruf pflanzte sich fort, das Brausen in der Rue d’Anjou wurde zum Sturm. Gendarmen tauchten auf, drängten die Massen zurück, die Pferde zogen wieder an … Vor meinem Haus loderten Fackeln. Das Tor stand weit offen, der Wagen konnte einfahren. Dann wurde das Portal hinter uns schnell zugeschlagen. Der Sturm draußen klang nur noch wie fernes Meeresrauschen. Beim Aussteigen zuckte ein rasender Schmerz durch mein Knie. Ich biss die Zähne zusammen und griff nach dem Säbel in der Wagenecke. Dann hinkte ich schnell ins Haus. Die Halle war hell erleuchtet, die Türen standen offen. Erschrocken blinzelte ich in den plötzlichenLichterglanz. Die vielen fremden Leute. – »Ich danke Ihnen im Namen Frankreichs – Bürgerin.« Lafayette war auf mich zugetreten. Die Augen lächelten aus hundert Runzeln. Seine Hand legte sich schützend unter meinen Arm, um mich weiterzuführen. »Um Gottes willen – wer sind denn diese vielen fremden Leute?«, flüsterte ich verwirrt. »Die Vertreter der Nation, mein Kind«, lächelte Lafayette. »Und – la grande nation hat viele Vertreter, Hoheit.« Talleyrand war bereits neben mir. Hinter ihm stand Fouché mit zwei weißen Kokarden auf den Rockaufschlägen. Die vielen Vertreter der Nation verbeugten sich. Totenstill war es. Nur das Meeresrauschen von der Straße drang durch die geschlossenen Fenster. »Und die vielen Menschen auf der Straße? Worauf warten die?«, wollte ich wissen. »Es hat sich herumgesprochen, dass Hoheit versucht haben, zu vermitteln«, sagte Fouché hastig. »Das Volk von Paris wartet seit Stunden auf die Rückkehr Eurer Hoheit!«
    »Sagen Sie doch den Leuten, dass der Kai–, dass sich General Bonaparte den Verbündeten ergeben hat und abgereist ist. Dann werden sie nach Hause gehen.«
    »Das Volk will Sie sehen, Bürgerin«, sagte Lafayette. »Mich –? Mich sehen –?« Lafayette nickte. »Sie bringen uns den Frieden. Die Kapitulation ohne Bürgerkrieg. Sie haben Ihre Mission erfüllt, Bürgerin.« Ich schüttelte entsetzt den Kopf. Nein, nein, nur das nicht … Aber Lafayette ließ meinen Arm nicht los. »Zeigen Sie sich Ihrem Volk. Bürgerin, Sie haben viele Menschenleben gerettet. Darf ich Sie jetzt an ein Fenster geleiten?« Willenlos ließ ich mich von ihm ins Speisezimmer führen. Ein Fenster in die Rue d’Anjou hinaus wurde geöffnet. Ein Schrei stieg aus der Dunkelheit. Dann trat Lafayette ans Fenster. Er breitete die Arme aus. Der Schrei verebbte. Die Stimme des alten Mannes klang wie eine Fanfare. »Bürger und Bürgerinnen – der Friede ist gesichert. General Bonapartehat sich in Kriegsgefangenschaft begeben und einer Frau aus eurer Mitte –«
    »Einen Schemel«, wisperte ich. – »Einen – was?«, wollte von Rosen wissen. »Einen Fußschemel, ich bin zu klein für eine Kronprinzessin«, flüsterte ich und dachte – Josephine, Josephine … »– und einer Frau aus eurer Mitte – einer Bürgerin, die ein freiheitsliebendes Volk im hohen Norden zu seiner Kronprinzessin wählte – hat er den Säbel überreicht. Den Säbel von Waterloo –!« Wieder stieg ein Schrei aus dem Dunkel. Lafayette trat schnell zur Seite. Ein Fußschemel wurde vors

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