Désirée
Königinwitwe und –« »Die Königinwitwe?«
»Ihre Majestät, Königin Sophie Hedwig, und neben ihr Prinzessin Sofia Albertina. Seine Majestät hatte sich nebenden kleinen Toilettentisch gesetzt. In den vielen Stunden, die der Todeskampf währte, machte Seine Majestät nur eine einzige Bewegung. Es handelte sich um den Mantel – ich hoffe, der Bericht regt Eure Majestät nicht zu sehr auf?«
»Bitte sprechen Sie weiter, Exzellenz!«
»Mein Freund Salomon Brelin hat mir nämlich alles ausführlich beschrieben. Im Kabinett neben dem Sterbezimmer waren die Mitglieder der Regierung und des Hofes versammelt. Die Tür stand offen. Am 5. Februar gegen sieben Uhr wurden die Atemzüge des Königs ruhiger. Man hatte das Gefühl, dass er wieder bei Bewusstsein sei. Die Königin an seinem Bett fiel auf die Knie, Prinzessin Sofia Albertina begann halblaut zu beten. Plötzlich öffnete der alte Herr die Augen und starrte unverwandt in die Richtung des Kronprinzen – ich meine, Seiner Majestät. Und Seine Majestät erwiderte ebenso unverwandt seinen Blick. Nur einmal wandte er sich um und bat den Kronprinzen, ihm einen Mantel zu bringen. Mein Freund schreibt, dass Seine Majestät sehr blass war und zu frieren schien. Dabei war die Hitze in dem Zimmer kaum zu ertragen. Unverständlich, dass –« »Nein, Exzellenz – das können Sie nicht verstehen. Was geschah weiter?«
»Je länger der Sterbende den Kronprinzen – ich meine, Seine Majestät ansah, umso ruhiger und leiser wurden seine Atemzüge. Um viertel elf Uhr abends war alles vorüber.« Ich senkte den Kopf. Auch mir wurde plötzlich kalt. »Und dann?«
»Dann verließen die Königinwitwe und Prinzessin Sofia Albertina das Sterbezimmer. Auch die anderen zogen sich zurück. Nur – nur Seine Majestät verweilte noch. Seine Majestät wünschte ausdrücklich, mit dem Toten allein gelassen zu werden.« Den Botschafter schauderte ein wenig. Dann sprach er schnell weiter. »Vor Mitternachtempfing Seine Majestät die Mitglieder der Regierung, Vertreter der Armee und die höchsten Beamten, um ihren Treueid entgegenzunehmen. Diese Zeremonie ist in der Verfassung vorgesehen. In der Frühe wurde Seine Majestät von den Reichsherolden in Schweden und Norwegen zum König ausgerufen. Dann begab sich Seine Majestät zum Trauergottesdienst. Nach dem Gottesdienst verlangte Seine Majestät ein Pferd und nahm den Truppen der Garnison Stockholm den Eid ab. Unterdessen hatte sich die Bürgerschaft vor dem Schloss versammelt, um Seiner Majestät zu huldigen. Am nächsten Tag bestieg Seine Majestät zum ersten Mal den Thron im Reichstag, um den Königseid abzulegen. Während Seine Majestät die Hand auf die Bibel legte, um zu schwören, fiel Kronprinz Oscar vor seinem Vater auf die Knie … Eure Majestät können sich gar nicht vorstellen, welcher Jubel in Schweden herrschte. Die Krönungszeremonie wird jedoch auf Wunsch Seiner Majestät erst am 11. Mai abgehalten werden.« »Wirklich – am 11. Mai?«
»Hat Seine Majestät einen besonderen Anlass, gerade diesen Tag zu wählen?«
»Am 11. Mai ist es genau fünfundzwanzig Jahre her, seitdem der Soldat Jean-Baptiste Bernadotte zum Sergeanten in der Armee der Französischen Republik ernannt wurde. Es war ein großer Tag im Leben meines Mannes, Exzellenz!«
»Ja – ja, natürlich, Majestät.«
Ich läutete und bat um Tee. Dann kam Marceline herein, um mir beim Einschenken zu helfen. Die erste Tasse Tee tranken wir schweigend aus. »Noch eine Tasse Tee, Exzellenz?«
»Zu gütig, Majestät!« Der armen Marceline fiel vor lauter Schrecken eine Tasse aus der Hand. Die Scherben klirrten. Kurz darauf empfahl sich der Botschafter. »Derfranzösische König wird Eurer Majestät zweifellos einen Kondolenzbesuch abstatten«, versicherte er mir noch. »Scherben bedeuten Glück«, flüsterte Marceline und sah mich seltsam scheu an. »Vielleicht … Warum siehst du mich so eigentümlich an?«
»Ihre Majestät, die Königin von Schweden und Norwegen«, sagte sie langsam und hörte nicht auf, mich anzustarren. »Ich muss morgen früh sofort Trauerkleider bestellen«, fiel mir ein. Dann ging ich langsam zum Klavier. Sah die Noten an, die Oscar, Kronprinz von Schweden und Norwegen, geschrieben hatte. Strich noch einmal über die Tasten. Dann schloss ich den Klavierdeckel. »Ich werde nie wieder Klavier spielen, Marceline.« »Aber warum denn nicht, Tante?« »Weil ich zu schlecht spiele. Zu schlecht für eine Königin!«
»Jetzt werden wir nicht zu
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