Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
Vom Netzwerk:
Fenster geschoben … Mit beiden Händen hielt ich den Säbel vor mich hin. Fackeln glühten, die Finsternis unter mir siedete. Dann unterschied ich die Rufe. Immer dasselbe schrien sie zu mir empor. »Notre Dame de la Paix!« Zuerst in wildem Jubel. Und dann im Takt, immer wieder, immer noch – »Notre Dame de la Paix –! Notre Dame de la Paix!« Die Friedensbringerin nannten sie mich. Ich weinte. Lafayette zog sich zurück und schob den jungen Grafen von Rosen vor. Dann griff der alte Mann nach einem Leuchter und ließ seinen Schein auf die schwedische Uniform und die blaugelbe Schärpe fallen. »Schweden – es lebe Schweden!«, brauste es auf. Auf der Stange über dem Portal wurde die schwedische Fahne aufgezogen, der Nachtwind spielte mit ihr und ließ sie riesengroß erscheinen. »Notre Dame de la Paix –!«, jubelten sie. Dabei war ich längst von meinem Schemel gestiegen, und das Fenster wurde geschlossen. Dann stand ich ganz fremd und verloren in meinem eigenen Salon. Die Herren Abgeordneten der grande nation bildeten aufgeregte Gruppen. Ich glaube, sie stritten. Jemand sagte: »Talleyrand hat die Waffenstillstandsverhandlungen bereits eingeleitet«, und ein anderer: »Fouché wird einen Geheimkurier zum dicken Louis schicken!« – Sie machten leider keine Anstalten, um sich zuverabschieden. Ich legte den Säbel auf den Tisch unter dem Porträt des Ersten Konsuls. Marie steckte neue Kerzen in den Leuchter. Sie hatte ihr feines Blauseidenes an. »Marie – ich glaube, wir müssen ihnen etwas anbieten, das gehört sich. Vielleicht die Kirschen, die wir einkochen wollten. Und Wein dazu, ja?« – »Ich hätte einige Torten gebacken, wenn ich alles vorher gewusst hätte. Diesmal haben wir so viel Mehl gehamstert.«
    Ja, die Mehlsäcke im Keller … Ich lauschte. Auf der Straße schrien sie noch immer. »Marie, diese Leute dort unten – die hungern doch seit Tagen. Lass die Mehlsäcke aus dem Keller holen, der Koch soll vor dem Haus das Mehl verteilen, die Gendarmen werden ihm dabei helfen, jeder bekommt so viel, wie er in seinem Taschentuch oder Halstuch mitnehmen kann!« »Eugénie – du bist leider verrückt!« Es klang sehr zärtlich. Zehn Minuten später stürzten sich die Vertreter der Nation wie Verdurstende auf die Weingläser und spuckten die Kirschkerne in alle Ecken. Mein Knie hämmerte und löschte alle Gedanken aus. Ich hinkte zur Tür. Aber Talleyrand hielt mich auf. »Haben sich Hoheit am Bein verletzt?«
    »Nein – nein, ich bin nur müde, Exzellenz.« – Er hob sein Lorgnon vor die Augen. »Unser republikanischer Freund, der Marquis de Lafayette, scheint ein alter Schwarm Eurer Hoheit zu sein.« Sein Ton machte mich wütend. Schrecklich wütend sogar. »Er ist der einzige Mann mit sauberen Händen in diesem Raum!«, stieß ich hervor. »Natürlich, Hoheit. Er hat doch in all diesen Jahren ausschließlich seinen Gemüsegarten bestellt und seine Hände in Unschuld gewaschen. Jetzt sind sie sauber – diese Hände!«
    »Die Stillen im Lande –«, begann ich. »Sind immer die besten Untertanen eines Diktators.« Er lauschte. Durch die geschlossenen Fensterscheiben klang das Schlurfenvieler Schritte und die Kommandorufe der Gendarmen. »Das ist nur die Mehlverteilung«, sagte ich. Lafayette tauchte auf, der blaue Blick umarmte mich. »Wie gütig Sie sind, mein Kind – erst zu vermitteln und dann noch Lebensmittel zu verschenken!«
    »Wie gütig und wie klug«, lächelte Talleyrand und nahm einem Diener ein Glas Wein ab. »Das kleine Land mit der großen Zukunft – vermitteln und nachher Mehl verteilen.« Er reichte mir das Glas. »Auf Schweden, Hoheit!« Mir fiel ein, dass ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte, und ich traute mich nicht, auf leeren Magen zu trinken. Da bemerkte ich, dass Fouché nach dem Säbel greifen wollte. »O nein, Herr Minister!«, schrie ich und hinkte schnell auf ihn zu. »Aber die französische Regierung –«, verteidigte er sich. Zum ersten Mal sah ich das Glitzern in den kleinen Augen. Ein sehr gieriges Glitzern. »Der Säbel ist den Verbündeten übergeben worden und nicht der französischen Regierung. Ich werde ihn aufbewahren, bis die Generäle Blücher und Wellington über ihn bestimmen.« Das lange Messer im Vorzimmer unserer Villa in Marseille … Ich hielt den Säbel von Waterloo wieder wie einen Regenschirm und stützte mich darauf. Vielleicht helfen kalte Umschläge meinem wehen Knie, dachte ich und sah das Porträt an. Der Erste Konsul blickte fern

Weitere Kostenlose Bücher