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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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und spöttisch drein. Die Stillen im Lande stritten weiter mit den Verrätern der Republik. Ich hörte sie bis in mein Schlafzimmer hinauf. Mein Knie war blau und sehr geschwollen. Kopfschüttelnd zog mir Marie mein staubiges verschwitztes Kleid aus. Auf der Straße war es still geworden. Ich begann, in mein Buch zu schreiben … Und jetzt graut endlich der Morgen. Papa, Lafayette ist ein alter Mann geworden. Und dein Zeitungsblatt mit den Menschenrechten ist wahrscheinlich in Schweden … Seit Napoleons Rückkehr aus Elba sind nur neunzig,fünfundneunzig, nein – hundert Tage vergangen. Hundert Tage und hundert Ewigkeiten – bin ich wirklich erst fünfunddreißig Jahre alt? Jean-Baptiste ist in der Schlacht bei Leipzig gestorben und die junge Désirée im Labyrinth von Malmaison. Wie sollen diese beiden jemals wieder zusammen leben? Ich glaube, ich werde nie wieder in mein Buch schreiben, Papa.

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    IV
KÖNIGIN VON SCHWEDEN

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    Paris, Februar 1818.
    J etzt ist es mir also wirklich passiert … Obwohl ich seit Jahren weiß, dass es eines Tages geschehen wird, konnte ich es mir nicht richtig vorstellen. Aber jetzt ist es so weit. Und nichts, nichts kann es ungeschehen machen. Ich saß gerade am Klavier und versuchte, eine neue Melodie durchzuspielen, die Oscar komponiert hat. Schade um das viele Geld, das Jean-Baptiste für meine Klavier- und Anstandsstunden ausgegeben hat, dachte ich wieder einmal und zerbrach mir beinahe die Finger. Da meldete man mir den schwedischen Botschafter. Ich fand nichts Außergewöhnliches daran, der Botschafter besuchte mich sehr oft, der Nachmittag war grau und regnerisch, wie geschaffen, um Tee zu trinken. Aber in dem Augenblick, in dem er eintrat, spürte ich es. Er blieb nämlich stehen. Hinter ihm schloss sich die Tür. Wir waren ganz allein. Und noch immer stand er an der Tür und rührte sich nicht. Das ganze Zimmer lag zwischen uns. Ich wollte auf ihn zueilen. Da verbeugte er sich. Mir wurde ganz unheimlich ums Herz. So tief war die Verbeugung, so – feierlich. Dann bemerkte ich den Trauerflor an seinem Ärmel und spürte, wie alles Blut aus meinem Gesicht wich. »Majestät –« Er richtete sich langsam auf. »Majestät, ich komme mit einer traurigen Botschaft. König Carl ist am 5. Februar verschieden.« Ich stand wie versteinert. Mir sind Menschen gestorben, die ich lieb gehabt habe. Den kleinen, zittrigen König habe ich kaum gekannt. Aber sein Tod bedeutet – »Seine Majestät hat mich beauftragt, Eurer Hoheit alle näheren Umstände mitzuteilen und diesen Brief zu übermitteln.« Ich rührte mich nicht. Der Botschafter trat auf mich zu und hielt mir ein versiegeltes Schreiben entgegen. »Majestät, bitte –«, drängte er. Zögernd streckte ich die Hand aus undnahm ihm den Brief ab. »Setzen Sie sich doch, Baron«, murmelte ich und sank selbst auf den nächsten Stuhl zusammen. Meine Finger zitterten, während ich das schwere Siegel erbrach. Es war ein großer Bogen, auf den Jean-Baptiste in größter Eile hingekritzelt hatte: »Liebste, du bist jetzt Königin von Schweden und Norwegen. Bitte benimm dich dementsprechend. In Eile – dein J. B.« Und darunter: »PS. Vergiss nicht, diesen Brief sofort zu vernichten.« Benimm dich dementsprechend! Ich ließ den Bogen sinken und lächelte. Plötzlich fiel mir ein, dass mich der Botschafter beobachtete. Der Botschafter mit seinem Trauerflor. Ganz schnell versuchte ich, ein traurig würdevolles Gesicht zu machen. »Mein Mann schreibt mir, dass ich jetzt Königin von Schweden und Norwegen bin«, sagte ich feierlich. Da begann der Botschafter zu lächeln. Ich möchte gern wissen, warum. »Seine Majestät ist am 6. Februar von den Reichsherolden zum König Carl XIV. Johan von Schweden und Norwegen ausgerufen worden und die Gemahlin Seiner Majestät zur Königin Desideria.«
    »Das hätte Jean-Baptiste nie erlauben dürfen! Ich meine, dass man mich Desideria nennt«, erklärte ich. Darauf wusste der Botschafter nichts zu antworten. »Wie – wie ist es denn gekommen?«, fragte ich schließlich. »Der alte Herr ist sanft hinübergeschlummert. Ein Schlaganfall am 1. Februar, zwei Tage später wusste man, dass das Ende bevorstand. Seine Majestät und Seine Hoheit, der Kronprinz, haben im Krankenzimmer gewacht.« Ich versuchte, mir alles vorzustellen. Das Schloss in Stockholm, das überfüllte Sterbezimmer, Jean-Baptiste und Seine Hoheit, der Kronprinz. Oscar – Kronprinz Oscar … »Dicht neben dem Bett saß die

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