Desperation
In
diesen Sekunden hatte er gewußt, was Typen wie Ted Bundy
empfinden mußten. Er hätte sie umbringen können. Hätte sie
umgebracht, wenn es ihm nicht gelungen wäre, den Körperkontakt mit ihr rechtzeitig zu unterbrechen. Oder vielleicht
hätte sie ihn getötet. Es war, als hätten Sex und Mord in dieser
schrecklichen kleinen Stadt irgendwie die Plätze getauscht.
Aber eigentlich ging es dabei gar nicht um Sex. Er erinnerte
sich, wie die Lichter geflackert hatten und das Radio wieder
angegangen war, als sie die Wolfsfigur berührt hatte.
»Nicht Sex«, sagte er. »Nicht Mord. Macht.«
»Hm?«
»Nichts. Ich werde uns durch das Stadtzentrum zurückfahren. Richtung Mine.«
»Der große Wall im Süden?«
Er nickte. »Es ist eine Tagebaumine. Es muß mindestens
einen Zufahrtsweg da draußen geben, der zum Highway 50
zurückführt. Den suchen wir und verschwinden. Ich bin sogar froh, daß der Weg hier versperrt ist. Ich will nicht mal in
die Nähe von der Nissen-Hütte, oder diesem -«
Sie streckte die Hand aus und ergriff seinen Arm. Sie sah
mit offenem Mund und großen Augen durch die blutverschmierte Windschutzscheibe hinaus.
Steve folgte ihrem Blick und sah, wie etwas aus der Dunkelheit in die Lichtkegel der Scheinwerfer geschlichen kam. Der
Staub war inzwischen so dicht, daß das Tier anfangs wie ein
Gespenst aussah, ein indianischer Geist von vor hundert Jahren. Es war ein Wolf, gut und gerne so groß wie ein deutscher
Schäferhund, aber schlanker. Im Licht der Scheinwerfer waren
seine Augen scharlachrote Höhlen. Ihm folgten, wie eine Schar
von Gefolgsleuten aus einem schrecklichen Märchen, zwei
Reihen Wüstenskorpione mit über den Rücken gekrümmten
Stacheln. Die Skorpione wiederum wurden von Kojoten flankiert, zwei auf jeder Seite. Sie schienen nervös zu grinsen.
Der Wind blies in Böen. Der Bus wurde auf den Stoßdämpfern durchgeschüttelt. Links von ihnen flatterte das heruntergestürzte Stück des Baldachins wie ein zerrissenes Segel.
»Der Wolf hat etwas im Maul«, sagte sie heiser.
»Du bist verrückt«, sagte er, aber als das Tier näher kam,
konnte er sehen, daß sie alles andere als verrückt war. Der
Wolf blieb rund zwanzig Schritte von dem Kleinbus entfernt
stehen, so räudig und so real wie auf einem Tatortfoto mit hoher Auflösung. Dann senkte er den Kopf und ließ das Ding
fallen, das er im Maul gehabt hatte. Er sah es einen Augenblick aufmerksam an, dann wich er drei Schritte zurück. Er
setzte sich und fing an zu hecheln.
Es war die bruchstückhafte Figur; sie lag auf der Zufahrt
zum Parkplatz des Cafes auf der Seite, lag im wehenden Sand
da, mit dem fauchenden Maul, dem verdrehten Kopf und den
aus ihren Höhlen tretenden Augen. Wut, Gier, Sex, Macht das alles schien sie scharf gebündelt wie eine Art Magnetfeld
gegen den Bus zu senden.
Das Bild, wie er Cynthia fickte, erschien ihm wieder, er
steckte in ihr wie ein Schwert, das bis zum Heft in feuchte
Erde gerammt worden war, sie sahen einander ins Gesicht, die
Lippen zu einem identischen Knurren verzerrt, während sie
sich in den knurrenden Steinkojoten zwischen ihnen verbissen wie in einen Lederriemen.
»Soll ich sie holen?« fragte Cynthia, und nun war sie diejenige, die sich anhörte, als würde sie schlafen.
»Soll das ein Witz sein?« fragte er. Seine Stimme, sein texanischer Akzent, aber nicht seine Worte, im Augenblic k nicht.
Diese Worte kamen aus dem Radio in seinem Kopf, das die
Steinfigur eingeschaltet hatte.
Ihre Augen, die ihn von dort, wo sie im Staub lag, anfunkelten.
»Was dann?«
Er sah sie an und grinste. Der Ausdruck fühlte sich abscheulich in seinem Gesic ht an. Und wundervoll zugleich.
»Wir holen sie natürlich gemeinsam. Einverstanden?«
Sein Verstand war jetzt der Sturm, von oben nach unten, von
einer Seite zur anderen tobte der Wind darin und wehte Bilder
von allem vor sich her, was er mit ihr anstellen würde, was sie
mit ihm anstellen würde, was sie gemeinsam mit allen anstellen würden, die sich ihnen in den Weg stellten.
Sie erwiderte das Grinsen, und ihre mageren Wangen
streckten sich nach oben, bis es wie das Grinsen eines Totenschädels aussah. Grünlich-weißes Licht vom Armaturenbrett
färbte ihre Stirn und ihre Lippen und füllte ihre Augenhöhlen
aus. Sie streckte die Zunge durch dieses Grinsen heraus und
züngelte damit wie die Schlangenzunge der Figur. Er streckte
ihr ebenfalls die Zunge heraus und bewegte sie lasziv. Dann
streckte er die Hand nach dem Türgriff aus. Er würde ein
Wettrennen zu der
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