Desperation
Kopf verletzt. Schwer. Schädelbasisbruch, Gehirnverletzungen. Er lag im Koma, und die Ärzte hatten ihn aufgegeben. Aber -«
»Laß mich raten. Du hast zu Gott gebetet, daß dein Freund
wieder gesund werden soll, und zwei Tage später, bingo,
steht der Junge auf, nimmt sein Bett und geht, gelobt sei Jesus
Christus.«
»Sie glauben mir nicht?«
Johnny lachte. »Klar doch. Nach allem, was mir seit heute
nachmittag widerfahren ist, scheint es vollkommen normal
und vernünftig zu sein.«
»Ich ging an einen Ort, der für mich und Brian etwas ganz
Besonderes war, um zu beten. Eine Plattform, die wir auf einem
Baum gebaut hatten. Wir nannten sie Vietcong-Wachposten.«
Johnny sah ihn ernst an. »Das soll jetzt kein Witz sein?«
David schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer von uns sich den Namen ausgedacht hat, aber so haben wir es genannt. Wir dachten, er wäre aus einem alten
Film, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, aus was für
einem, falls es stimmt. Wir hatten ein Schild und alles. Das
war unser Lieblingsplatz, dorthin bin ich gegangen, und ich
hab folgendes gesagt -« Er machte die Augen zu und dachte
nach. »Ich hab gesagt: >Lieber Gott, mach, daß es ihm besser
geht. Wenn du das tust, werde ich auch etwas für dich tun. Ich
verspreche es.<« David schlug die Augen auf. »Es ging ihm
fast augenblicklich besser.«
»Und jetzt ist es Zeit, dafür zu bezahlen. Das ist der
schlimme Teil, richtig?«
»Nein! Es macht mir nichts aus, zu bezahlen. Letztes Jahr
habe ich mit meinem Dad um fünf Dollar gewettet, daß die
Pacers die NBA-Championship gewinnen würden, und als sie
verloren, wollte er mich schonen und sagte, ich wäre noch ein
Kind, ich hätte mit dem Herzen gewettet statt mit dem Verstand. Vielleicht hatte er recht -«
»Wahrscheinlich hatte er recht.«
»- aber ich hab trotzdem bezahlt. Weil es schofel ist, nicht zu
bezahlen, was man jemandem schuldet, und schofel, ein Versprechen nicht zu halten.« David beugte sich zu ihm und
sprach mit gedämpfter Stimme weiter… als hätte er Angst, Gott
könnte mithören. »Der wirklich schlimme Teil ist, Gott wußte,
daß ich hierher kommen würde, und er wußte bereits, was er
von mir wollte. Und er wußte, was ich wissen mußte, um es zu
tun. Meine Eltern sind nicht religiös - höchstens Weihnachten
und Ostern -, und bis zu Brians Unfall war ich es auch nicht.
Aus der Bibel kannte ich nur Johannes drei, Vers sechzehn, weil
das immer auf den Schildern steht, die die Zellies auf dem Spielfeld hochhalten. Denn also hat Gott die Welt geliebt.«
Sie kamen jetzt an der Bodega mit dem heruntergefallenen
Schild vorbei. Die Gasflaschen waren von der Seite des Gebäudes abgerissen worden und lagen sechzig oder siebzig
Meter entfernt in der Wüste. Vor ihnen ragte die China-Grube
auf. Im Sternenlicht sah sie wie ein übertünchtes Grab aus.
»Was sind Zellies?«
»Zeloten. Den Ausdruck hat mein Freund Reverend Martin
gebraucht. Ich glaube, er ist … ich glaube, ihm ist etwas zugestoßen.« David verstummte einen Augenblic k und sah auf
die Straße. Der Sandsturm hatte die Ränder verweht, und hier
draußen verliefen ganze Verwehungen über den Weg. Das
Geländefahrzeug überwand sie mit Leichtigkeit. »Wie auch
immer, ich wußte bis zu Brians Unfall nichts von Esau und Josephs buntem Rock und Potiphars Frau. Was mich damals am
meisten interessierte« (Johnny fand, er redete wie ein neunzigjähriger Kriegsveteran, der uralte Schlachten und vergessene
Feldzüge schildert), »war die Frage, ob Albert Belle jemals als
wertvollster Spieler der American League ausgezeichnet
würde.«
Er drehte sich mit ernstem Gesicht zu Johnny um.
»Das Schlimme ist nicht, daß Gott mich in eine Lage brachte, in der ich ihm einen Gefallen schuldete, sondern daß er
Brian weh getan hat, um das zu erreichen.«
»Gott ist grausam.«
David nickte, und Johnny sah, daß der Junge den Tränen
nahe war. »Das ist er ganz sicher. Vielleicht besser als Tak, aber
trotzdem ziemlich gemein.«
»Aber Gottes Grausamkeit ist läuternd … geht jedenfalls
das Gerücht. Ja?«
»Nun … vielleicht.«
»Auf jeden Fall ist dein Freund am Leben.«
»Ja -«
»Und vielleicht ging es gar nicht um dich. Vielleicht findet
dein Kumpel eines Tages ein Heilmittel gegen Aids oder
Krebs. Vielleicht trifft er den Ball in sechzig Spielen hintereinander.«
»Vielleicht.«
»David, dieses Ding da draußen - Tak -, was ist das? Hast
du eine Ahnung? Ein indianischer Geist? So etwas wie ein
Manitu oder ein
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