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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Windigo?«
»Das glaube ich nicht. Ich glaube, es ist mehr eine Krankheit
als ein Geist oder ein Dämon. Die Indianer wußten vielleicht
gar nicht, daß es hier ist, obwohl es schon lange vor ihnen hier
war. Lange vorher. Tak ist der Große Alte, das ungeformte
Herz. Und der Ort, wo es sich wirklich aufhält, auf der anderen Seite des Schlundes am Boden des Brunnens… ich bin mir
nicht sicher, ob dieser Ort überhaupt auf der Erde liegt, oder
auch nur im normalen Raum. Tak ist ein völliger Außenseiter
und unterscheidet sich so sehr von uns, daß wir ihn nicht mal
begreifen können.«
Der Junge zitterte ein wenig, und sein Gesicht sah noch
blasser aus. Vielleicht lag es nur am Sternenlicht, aber Johnny
gefiel es nicht. »Wir müssen nicht mehr darüber reden, wenn
du nicht willst. Einverstanden?«
David nickte und zeigte nach vorn. »Sehen Sie, dort ist der
Ryder. Sie haben angehalten. Sie müssen Mary gefunden haben. Ist das nicht toll?«
»Das ist es allerdings«, sagte Johnny. Die Scheinwerfer des
Busses waren etwa eine halbe Meile entfernt und strahlten
fächerförmig zum Ansatz des Erdwalls. Sie fuhren schweigend darauf zu, jeder in seine eigenen Gedanken versunken.
Johnnys Gedanken kreisten hauptsächlich um das Thema
Identität; er war nicht mehr ganz sicher, wer er eigentlich war.
Er drehte sich zu David um und wollte David fragen, ob er
nicht wußte, wo noch ein paar Sardinen sein könnten - er
hatte solchen Hunger, daß er nicht einmal über eine Dose Anchovis die Nase gerümpft hätte -, als sich sein Kopf plötzlich
in eine lautlose, gleißende Explosion verwandelte. Er fuhr auf
dem Fahrersitz zusammen, und seine Schultern verkrampften
sich. Ein erstickter Schrei entrang sich ihm. Seine Mundwinkel waren so drastisch nach unten gezogen, daß sein Gesicht
wie eine Clownsmaske wirkte. Das Geländefahrzeug scherte
zur linken Straßenseite hin aus.
David beugte sich hinüber, packte das Lenkrad und
korrigierte ihren Kurs, bevor das Fahrzeug über die Böschung
in die Wüste rasen konnte. Inzwischen hatte Johnny die
Augen wieder aufgeschlagen. Er bremste instinktiv, so daß
der Junge nach vorne geschleudert wurde. Dann kamen sie
zum Stillstand; das Geländefahrzeug befand sich keine dreißig Meter von den Rücklichtern des Ryder entfernt mitten auf
der Straße. Sie konnten Menschen dort stehen sehen, rotfleckige Silhouetten, die sie beobachteten.
»Heilige Scheiße«, hauchte David. »Einen Augenblick dachte
ich-«
Johnny sah ihn erstaunt und benommen an, als sähe er ihn
zum erstenmal in seinem Leben. Dann klärte sich sein Blick,
und er lachte unsicher.
»Ganz recht, heilige Scheiße«, sagte er. Seine Stimme klang
leise, fast kraftlos
- die Stimme eines Mannes, der gerade
einen erschütternden Schock erlebt hat. »Danke, David.«
»War das eine Gott-Bombe?«
»Was?«
»Ein großer Blitz. Wie bei Saulus auf der Straße nach Damaskus, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel, oder so,
und er wieder sehen konnte. Reverend Martin nennt so etwas
Gott-Bomben. Sie haben gerade eine gehabt, nicht?«
Plötzlich wollte er David nicht anschauen, weil er Angst davor hatte, was David in seinen Augen sehen könnte. Statt dessen betrachtete er die Rücklichter des Ryder.
Steve hatte die außergewöhnlich breite Straße nicht genutzt, um zu wenden, fiel Johnny auf; der Ryder stand immer
noch in Richtung Süden, zum Wall hin. Na klar. Steve Ames
war ein schlauer alter Texas-Junge; er mußte vermutet haben,
daß diese Geschichte noch nicht vorbei war. Er hatte recht. David hatte ebenfalls recht - sie mußten zur China-Grube hinauf
-, aber der Junge hatte ein paar andere Ideen, mit denen er
vielleicht nicht ganz so recht hatte.
Mach deine Augen auf, Johnny, sagte Terry. Mach deine Augen
so auf, daß du ihn ansehen kannst, ohne auch nur einmal zu blinzeln. Du weißt doch, wie man das macht, oder nicht?
Ja, das wußte er ganz bestimmt. Er erinnerte sich an etwas,
das sein alter Literaturprofessor gesagt hatte, als noch Dinosaurier auf Erden wandelten und Ralph Houk noch Manager
der New York Yankees war. Lügen ist Literatur, hatte dieses
verkrustete alte Reptil mit einem trockenen und zynischen
Grinsen verkündet; Literatur ist Kunst, und demzufolge ist
alle Kunst eine Lüge.
Und nun, Ladies und Gentlemen, treten Sie zurück, während ich
mich darauf vorbereite, Kunst an diesem arglosen jungen
Propheten zu praktizieren.
Er drehte sich zu David um und sah David mit einem
leutseligen Lächeln in die Augen. »Keine

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