Desperation
wirkte. Undeutliche Schemen
näherten sich einander in dem reflektierten Lichtschein: David unter seinem Vater, und der Schatten des Adlers, der über
beiden schwebte.
»Erschieß ihn!« schrie Cynthia. »Steve, erschieß ihn, er wird
ihm den Kopf abreißen!«
Johnny packte den Lauf der .30-06, als Steve sie hochriß.
»Nein. Ein Schuß, und der ganze Stollen bricht über uns zusammen.«
Der Adler kreischte, Flügel klatschten gegen Carvers
Kopf. Ralph versuchte, den Vogel mit der linken Hand abzuwehren. Der Vogel packte einen von Ralphs Fingern mit
dem gekrümmten Schnabel und riß ihn ab. Dann gruben
sich seine Krallen in Ralph Carvers Gesicht wie kräftige Finger in Teig.
»DADDY, NEIN!« schrie David.
Steve drängte sich in das Dickicht der Schatten, und als er
mit dem Fuß seitlich gegen die Taschenlampe stieß, bekam
Johnny den Vogel, der Ralphs Kopf in seinem Griff hatte, besser zu sehen, als ihm lieb war. Seine Schwingen wirbelten brodelnde Staubwolken vom Boden und den alten Schachtwänden auf. Ralphs Kopf bewegte sich wild von einer Seite auf die
andere, aber sein Körper verdeckte David fast völlig.
Steve riß das Gewehr zurück, um auszuholen, dabei stieß der
Kolben gegen die Wand. Es war nicht genug Platz. Statt dessen
stieß er es nach vorne wie eine Lanze. Der Adler richtete den
Blick seiner runden Augen auf ihn und verlagerte den Griff um
Ralph. Seine Flügel erzeugten leisen Donner in dem engen
Raum. Johnny sah Ralphs Finger seitlich aus dem Schnabel des
Tiers ragen wie eine gräßliche Zigarre. Steve stieß wieder zu,
und diesmal erwischte er den Adler frontal und schlug ihm den
Finger aus dem Schnabel. Der Kopf des Vogels wurde gegen die
Wand gerammt. Er spannte die Krallen. Eine grub sich noch tiefer in Ralphs Gesicht. Die andere wurde hochgehoben, bohrte
sich in den Hals und riß ihn auf. Der Vogel schrie, möglicherweise wütend, möglicherweise triumphierend. Mary schrie mit ihm.
»GOTT, NEIN!« heulte David mit brechender Stimme. »O
GOTT, BITTE, ER SOLL AUFHÖREN, MEINEM DADDY WEH
ZUTUN!«
Das ist die Hölle, dachte Johnny ruhig, machte einen Schritt
nach vorne und ging in die Knie. Er ergriff die Kralle, die in
Ralphs Hals vergraben war. Es kam ihm so vor, als würde er
eine ausgesucht häßliche exotische Kuriosität ergreifen, die in
Alligatorhaut gekleidet war. Er drehte sie so fest er konnte
herum und hörte ein sprödes, brechendes Geräusch. Über
ihm stieß Steve wieder mit dem Kolben der .30-06 zu und
rammte den Kopf des Adlers gegen die felsige Seite des
Schachts. Ein Knirschen war zu hören.
Ein Flügel schlug gegen Johnnys Kopf. Es war wieder wie
bei dem Geier. Zurück in die Zukunft, dachte er, ließ die Kralle
los, um den Flügel zu packen, und riß daran. Der Vogel kam
ihm entgegen und stieß dabei seinen häßlichen, ohrenbetäubenden Schrei aus, und Ralph wurde von der Kralle mitgezogen, die noch in seiner Wange, der Schläfe und der rechten
Augenhöhle steckte. Johnny nahm an, Ralph sei entweder bewußtlos oder schon tot. Er hoffte, er sei schon tot.
David kroch mit benommenem Gesichtsausdruck unter seinem Vater hervor, von dessen Blut sein Hemd getränkt war.
Noch einen Moment, und er würde sich die Taschenlampe
schnappen und tiefer in die Höhle vordringen, wenn sie nicht
schnell genug reagierten.
»Steve!« rief Johnny, streckte die Hand blind über den Kopf
hoch und legte sie um den Rücken des Adlers. Der Vogel
zuckte und wand sich in Johnnys Griff wie der Rücken eines
wilden Mustangs, der sich aufbäumt. »Steve, töten Sie ihn! Töten Sie ihn!«
Steve rammte dem Vogel den Gewehrkolben an die Gurgel,
so daß der Kopf sich nach hinten neigte. In diesem Moment
sprang Mary vorwärts. Sie packte den Hals des Adlers und
drehte ihn, von verbissener Entschlossenheit erfüllt, herum.
Ein gedämpftes Knacken ertönte, und plötzlich lockerte sich
der Griff der Kralle in Ralphs Gesicht. Davids Vater fiel auf
den Boden der Mine, wobei er mit der Stirn auf ein Gerippe
prallte und es zu Staub zermalmte.
David drehte sich um und sah seinen Vater reglos mit dem
Gesicht nach unten daliegen. Sein Blick wurde klar. Er nickte
sogar, als wollte er sagen: Ziemlich genau das, was ich erwartet
habe, dann bückte er sich, um die Taschenlampe aufzuheben.
Erst als Johnny ihn um die Taille faßte, war seine Ruhe dahin,
und er wehrte sich.
»Lassen Sie mich los!« schrie er. »Es ist meine Aufgabe! MEINE!« »Nein, David«, sagte Johnny und hielt ihn fest, als würde
sein Leben davon
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