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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Übel. Amen.«
Nach dem Amen fuhr Cynthia fort: »Denn dein ist das
Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit, in Ewigkeit,
Amen.« Sie sah mit dem Funkeln in den Augen auf, das
Johnny so sehr schätzen gelernt hatte. »So hab ich es beigebracht bekommen
- sozusagen der protestantische Remix,
wissen Sie?«
Jetzt sah David Johnny an.
»Hilf mir, mein Bestes zu geben«, sagte Johnny. »Wenn du
da bist, Gott - und ich habe allen Grund zu der Annahme -,
dann hilf mir, mein Bestes zu geben und nicht wieder schwach
zu werden. Ich möchte, daß du diese Bitte sehr ernst nimmst,
denn ich habe schon lange die Gewohnheit, schwach zu werden. David, was ist mit dir? Hast du etwas zu sagen?«
David zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. »Hab
ich schon gesagt.« Er ließ die Hände los, die seine hielten, und
der Kreis wurde aufgelöst.
Johnny nickte. »Okay, packen wir’s an.«
»Was packen wir an?« fragte Mary. »Was? Würden Sie es
mir bitte sagen?«
»Ich muß da rein«, sagte David. »Allein.«
Johnny schüttelte den Kopf. »Nee. Und komm mir jetzt
nicht mit deiner Gott-hat-es-mir-gesagt-Masche, denn im
Augenblick sagt er dir gar nichts. Dein Bildschirm zeigt nur
ein BITTE-WARTEN-Schild, hab ich recht?«
David sah ihn unsicher an und fuhr sich mit der Zunge über
die Lippen.
Johnny hob eine Hand, zeigte auf den wartenden dunklen
Schacht und sprach im Tonfall eines Mannes weiter, der
jemandem einen großen Gefallen tut. »Aber du kannst als erster gehen. Wie ist das?«
»Mein Dad -«
»Gleic h hinter dir. Er wird dich festhalten, wenn du fällst.«
»Nein«, sagte David. Plötzlich sah er aus, als hätte er Angst Todesangst. »Das will ich nicht. Ich will überhaupt nicht, daß er
da reingeht. Die Decke könnte einstürzen, oder -«
»David! Was du willst, spielt keine Rolle.«
Cynthia packte Johnny am Arm. Sie hätte ihm weh getan,
wenn sie ihre Nägel nicht bis an die Fingerkuppen abgebissen
gehabt hätte. »Lassen Sie ihn in Ruhe! Herrgott, er hat Ihr Scheißleben gerettet! Können Sie nicht aufhören, auf ihm rumzuhacken?«
»Das tue ich nicht«, sagte Johnny. »Im Augenblick hackt er
auf sich selbst herum. Wenn er sich einfach entspannen und
bedenken würde, wer hier das Kommando hat…«
Er sah David an. Der Junge murmelte etwas so leise, daß
man es nicht hören konnte, aber Johnny mußte es nicht hören,
um zu wissen, was er gesagt hatte.
»Ganz recht, er ist grausam. Aber das hast du gewußt. Und
du hast sowieso keinen Einfluß auf das Wesen Gottes. Keiner
von uns. Also, warum entspannst du dich nicht?«
David antwortete nicht. Er hatte den Kopf gesenkt, aber
diesmal nicht zum Gebet. Johnny fand, daß die Haltung
Resignation ausdrückte. In gewisser Weise wußte der Junge,
was kommen würde, und das war das Schlimmste daran. Das Grausamste, wenn man so wollte. So leicht wird es für ihn nicht
werden, hatte er im Pulvermagazin zu Steve gesagt, aber da
hatte er nicht richtig begriffen, wie hart es sein konnte. Zuerst
seine Schwester, dann seine Mutter; jetzt
»Gut«, sagte er mit einer Stimme, die so trocken klang
wie der Boden, auf dem sie standen. »Zuerst David, dann
Ralph, dann Sie, Steve. Ich komme hinter Ihnen. Heute abend
- Verzeihung, heute morgen
- heißt es ausnahmsweise mal
Ladys zuletzt.«
»Wenn wir rein müssen, will ich mit Steve rein«, sagte Cynthia.
»Okay, gut«, sagte Johnny sofort
- als hätte er damit gerechnet. »Wir beide können die Plätze tauschen.«
»Wer hat Ihnen eigentlich das Kommando übergeben?«
fragte Mary.
Johnny ging mit der Geschwindigkeit einer Schlange auf sie
los und erschreckte sie so sehr, daß sie unwillkürlich einen
Schritt zurückwich. »Wollen Sie es übernehmen?« fragte er mit
gefährlicher Fröhlichkeit. »In diesem Fall, junge Frau, wäre ich
gerne bereit, Ihnen den Vortritt zu lassen. Ich habe ebensowenig darum gebeten wie David. Also, was meinen Sie? Wollen
Sie den Federschmuck des großen Häuptlings anlegen?«
Sie schüttelte verwirrt den Kopf.
»Ruhig, Boß«, murmelte Steve.
»Ich bin ruhig«, sagte Johnny, aber das stimmte nicht. Er betrachtete David und dessen Vater, die mit gesenkten Köpfen
nebeneinander standen und sich an der Hand hielten, und
war nicht ruhig. Er konnte das Ausmaß dessen, was er zuließ,
kaum glauben. Kaum glauben? Er konnte es gar nicht glauben,
das traf den Sachverhalt schon eher. Wie sonst hätte er weitermachen können, wenn nicht mit dem Schild barmherziger
Unwissenheit, den er vor sich hielt? Wie sollte das

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