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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sagte er. »Möchten Sie es selbst versuchen?
Vielleicht haben Sie mehr Glück. Weibliches Fingerspitzengefühl oder so.«
Sie schüttelte den Kopf. »Spüren Sie etwas? Irgend etwas?«
Er seufzte. Ja, er spürte etwas. Tatsächlich. Es erinnerte ihn
daran, wie er sich manchmal am Anfang der Pubertät gefühlt
hatte, damals in Texas. Der Sommer, in dem er dreizehn geworden war, war der längste, köstlichste, seltsamste Sommer seines
Lebens gewesen. Ende August waren häufig abends Gewitter
über das Land hinweggezogen
- kurze, aber heftige Konvulsionen, die die alten Cowboys »Feger« nannten. Und in jenem
Jahr (einem Jahr, als es so ausgesehen hatte, als stammte jeder
zweite Popsong im Radio von den Bee Gees) hatten ihn die gedämpften Minuten vor diesen Gewittern - schwarzer Himmel,
reglose Luft, grollender Donner und Blitze, die in die Prärie
herabstießen wie eine Gabel in zähes Fleisch - auf eine Weise
angetörnt, wie er es später nie wieder erlebt hatte. Seine Augen
fühlten sich wie elektrisch geladene Kugeln in Höhlen aus
Chrom an, sein Magen verkrampfte sich, sein Penis füllte sich
mit Blut und ragte steif wie ein Besenstiel empor, die Haare auf
seihen Unterarmen schienen wie Metallspäne zu kribbeln. Die
gedämpfte Stille brachte ein Gefühl schrecklicher Ekstase mit
sich, ein Gefühl, als gäbe die Welt ein großes Geheimnis preis,
das sie wie einen Joker ausspielen würde. Am Ende war es
natürlich nie zu einer Offenbarung gekommen (abgesehen davon, daß er etwa ein Jahr später entdeckte, wie man masturbiert), nur zu Regenschauern. Genauso fühlte er sich jetzt, freilich ohne Ständer, ohne kribbelnde Unterarmhaare, ohne Ekstase, und eigentlich auch ohne ein Gefühl des Entsetzens. Seit
sie den Helm vom Boß gefunden hatten, verspürte er lediglich
eine dumpfe Vorahnung, ein Gefühl, als wäre etwas schiefgegangen und würde in Kürze noch schlimmer werden. Bis sie
sich eben an ihn gewandt hatte, hatte er dieses Gefühl einfach
abgetan. Als Kind hatte er wahrscheinlich nur auf Luftdruckveränderungen vor dem heraufziehenden Sturm reagiert, auf
Elektrizität in der Luft oder sonst einen Quatsch. Und auch
jetzt zog ein Sturm herauf, oder nicht? Ja. Also handelte es sich
wahrscheinlich um dasselbe, eine Art Deja-vu-Erlebnis, vollkommen verständlich. Und doch
»Yeah, okay, ich spüre was. Aber was, zum Teufel, kann ich
tun? Sie wollen doch nicht, daß ich umkehre, oder?«
»Nein. Das können wir nicht. Es wäre nicht richtig. Seien
Sie nur vorsichtig. Klar?«
Eine Windbö schüttelte den Ryder. Sand, der über die
Straße geweht wurde, verwandelte sich flüchtig in eine Fata
Morgana.
»Okay, aber Sie müssen mir helfen.«
Er fuhr wieder an. Die untergehende Sonne berührte inzwischen die sich wölbende Sandmembran im Westen; ihre untere Hälfte hatte sich blutrot verfärbt.
»O yeah«, sagte sie und verzog das Gesicht, als der Bus von
einem erneuten Windstoß durchgeschüttelt wurde. »Damit
können Sie rechnen.«
2
    Der blutüberströmte Cop sperrte den Neuankömmling in die
Zelle neben David Carver und Tom Billingsley. Als er das getan hatte, machte er langsam auf dem Absatz kehrt, und sein
halb abgeschältes, blutendes Gesicht sah ernst und nachdenklich aus. Dann griff er in die Tasche und holte wieder den
Schlüsselring heraus. Er wählte denselben wie vorher - rechteckig, mit einem schwarzen Magnetstreifen, wahrscheinlich
der Hauptschlüssel.
»Ene-mene-mine-me«, sagte er. »Pack dir ‘nen Tourist am
Zeh.« Er ging zu der Zelle, wo Davids Eltern eingesperrt waren. Als er näher kam, wichen sie zurück und legten wieder
die Arme umeinander.
»Lassen Sie sie in Ruhe!« rief David erschrocken. Billingsley
nahm ihn oberhalb des Ellbogens am Arm, aber David schüttelte ihn ab. »Haben Sie mich verstanden? Lassen Sie sie in Ruhe!«
»Träum weiter, Bengel«, sagte Collie Entragian. Er steckte den
Schlüssel ins Schloß der Zelle, ein leises Klicken war zu hören,
als die Bolzen zurückglitten. Er zog die Tür auf. »Gute Neuigkeiten, Ellie - Ihre Bewährung ist genehmigt. Kommen Sie raus.«
Ellen schüttelte den Kopf. Mittlerweile fielen Schatten in
die Zellen, Ellens Gesicht schwamm bleich wie Papier darin.
Ralph legte ihr den Arm um die Taille und zog sie noch weiter
zurück. »Haben Sie unserer Familie nicht schon genug angetan?« fragte er.
»Kurz gesagt, nein.« Entragian zog seinen riesengroßen Revolver, richtete ihn auf Ralph und spannte ihn. »Sie kommen
auf der Stelle da raus, kleine Lady,

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