Deus X
Augenblick hätte ich dieser Frau alles zugetraut – sogar Dinge, die nicht unbedingt frei von
Sünde gewesen wären.
»Aber ich bin der festen Überzeugung, daß meine
Seele in der Hölle schmoren wird, während Sie und Ihre
Experten mit ihrem leeren Simulacrum sprechen!« rief ich.
»Ich werde Ihnen auf dem Totenbett Ihres Körpers die
Absolution erteilen und die letzte Ölung selbst vornehmen«,
sagte die Päpstin.
Was für eine Sophisterei! »Wirklich, Eure
Heiligkeit…«
»Eine Absolution, die Ihre eigene Logik als gültig
erweist. Denn falls Sie sich irren und die fragliche Entität
Ihre Seele besitzt, ist keine Sünde begangen worden, und falls
Sie recht haben, wird Gott Ihnen dann nicht vergeben, daß Sie
die Bürde einer unumgänglichen Missetat auf Ihre Schultern
geladen haben, auf daß seine Wahrheit von meinen Lippen
komme?«
»Ihr verlangt eine ganze Menge, Eure Heiligkeit«, sagte
ich schwach.
Aber obwohl das die Untertreibung des Jahrtausends zu sein schien,
obwohl ich im Innersten dagegen aufbegehrte, begann die
erbarmungslose Logik der Frau – dämonisch oder was auch
immer –, mich gegen meinen Willen zu bestricken.
Wem würde ich eher zutrauen, die Nichtexistenz der Seele von
der Anderen Seite her zu vertreten, als mir selbst? Sowohl Furcht als
auch Demut zwangen mich zu der Überlegung, ob es jemanden gab,
dem ich diese Bürde mit reinem Gewissen weitergeben konnte, aber
mein pragmatischer Realismus förderte niemanden zutage. Jeder,
der sie freudig auf sich nähme, würde sich damit in meinen
Augen nämlich automatisch disqualifizieren.
Und das wußte die Päpstin nur allzugut.
»Ich bitte Sie darum, Ihre unsterbliche Seele im Dienst der
Kirche in Gefahr zu bringen und dabei allein auf die moralische
Autorität der Kirche zu bauen, ihr bei diesem zweifelhaften
Unterfangen Gottes Segen zu erteilen«, gab sie rundheraus zu.
»Deshalb kann ich nicht an den Gehorsam appellieren, den Sie
geschworen haben. Nicht einmal die Päpstin kann jemandem
befehlen, ein Heiliger zu werden. Ich kann Sie nur darum bitten, der
Stimme Gottes in Ihrem eigenen Herzen zu gehorchen. Niemand wird es
Ihnen verübeln, wenn Sie ablehnen.«
Die Pontifex zuckte die Achseln. »Es gibt im übrigen
durchaus Alternativen«, sagte sie leichthin. »Ich habe
bereits eine Liste von Personen zweiter Wahl vorbereitet, die
wahrscheinlich nicht von Ihren moralischen Skrupeln gequält
würden.«
Trotz dieser unausgesprochenen plumpen Drohung brachten die Worte
der Päpstin eine Saite in meinem Herzen zum Klingen. Wie konnte
ich aus egoistischer Sorge um meine Erlösung diesen Ruf
ablehnen, meine tiefste Überzeugung von der anderen Seite der
Grenze her zu vertreten?
Sei es dämonische Logik, inspirierte Vision oder eine
geheimnisvolle Synergie von beidem, in diesem Augenblick hatte sie
mich. Ich konnte diese Bürde nicht auf jemand anderen
abwälzen.
Doch nicht einmal Jesus hatte solch einen Becher gleich beim
ersten Mal ausgetrunken, als er ihm angeboten wurde.
»Ich brauche Zeit, Eure Heiligkeit, ich muß meditieren,
beten, man kann göttliche Weisheit nicht wie eine Kanne Kaffee
kommen lassen«, wich ich aus, doch als unsere Blicke sich
trafen, wußten wir beide ganz genau, daß es nicht die
volle Wahrheit war. Sie konnte es, sie hatte es getan, und sie
wußte es.
»Lassen Sie sich soviel Zeit, wie Sie wollen, Pater De Leone
– in vernünftigem Rahmen«, sagte die Päpstin mit
einem versteckten kleinen Lächeln. »Wir wissen beide,
daß Sie tun werden, was Gott Ihnen sagt.«
5
»Es hat eine ganze Weile gedauert, bis er sich den
Wünschen der Pontifex fügte, Mr. Philippe«, sagte
Kardinal Silver einen Spliff und anderthalb Flaschen Wein
später, »aber am Ende – nun, am Ende kriegt Maria I.
gewöhnlich, was sie will.«
Die Nacht war klar, die See war still, die Mellow Yellow schaukelte sanft, und es war nichts zu hören als die Stimme
des Kardinals, der seine seltsame und zynische Gespenstergeschichte
weiterspann.
»Mit der Hierarchie verhielt es sich weitgehend genauso. Ich
selbst war ziemlich entsetzt, als die Päpstin mich
schließlich voll ins Vertrauen zog. Der ganze Plan kam mir so
paradox aussichtslos vor. Wenn De Leones Nachfolger-Entität
erfolgreich die Nichtexistenz ihrer eigenen Seele vertrat,
würden die Progressiven behaupten, das Programm habe die
Ungläubigkeit der Schablone nachgebildet. Wenn sie sich zu einem
beseelten Wesen erklärte, das der Errettung durch die Kirche
fähig sei,
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