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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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würden die Konservativen sie einfach als
satanische Lügnerin bezeichnen.«
    Er machte eine Pause, schenkte sich nach, schüttelte
trübselig den Kopf. »Ich erklärte ihr, daß eine
Bulle, die auf solchen logischen Absurditäten beruhte, niemals
als glaubhaft unfehlbar akzeptiert werden würde, und wenn das
Gelächter in den Medien – falls überhaupt –
irgendwann verstummt wäre, sie selbst auch nicht mehr.«
    Der Kardinal stärkte sich mit einem Schluck Wein, oder
vielmehr, er kippte ihn sich hinter die Binde. »Und wissen Sie,
was sie zu mir gesagt hat?« fragte er.
    »Es ist Ihre Geschichte, Eure Eminenz…«
    »Was die Kirche braucht, ist ein moralisches Wunder, hat sie
gesagt. Wir haben das Image eines belanglosen Don Quichotte, der in
den letzten Tagen der Welt gegen theologische
Windmühlenflügel kämpft. Aber wenn wir das moralische
Rätsel dieser Endzeit lösen, beweisen wir damit in all den
Meinungsumfragen, daß wir das Recht haben, unsere Botschaft zum
wahren Wort Gottes zu erklären. Und meine unfehlbare Weisheit
sagt mir, daß in der heutigen Zeit kein Wunder ohne
wissenschaftlichen Beweis oder zumindest der guten
Expertensystem-Nachbildung eines solchen akzeptiert wird.«
    Er zuckte die Achseln. »Zu meiner Überraschung hat es
funktioniert, als ich es durch unsere demographischen Meinungsmodelle
gejagt habe. Es würde das Image der Kirche verbessern, wenn man
sie mit zentralen, tiefgründigen Problemen ringen sähe,
ganz gleich, was dabei herauskäme. Das hat genügt, um mich
zu überzeugen und die Kooperation beider Fraktionen zu
gewährleisten, obwohl ich bezweifle, daß all das Pater De
Leone in irgendeiner Weise beeinflußt hat.«
    Vielleicht lag es am Kraut, vielleicht auch an der Geschichte,
aber ich spürte, wie sich Leviathane in den tiefen Wassern
regten, auf deren stiller Oberfläche wir wie kleine Köder
trieben, obwohl ich wußte, daß es Zeit meines Lebens
keine Wale in diesem Meer gegeben hatte.
    »Entschuldigen Sie, wenn ich das sage, Kardinal Silver, aber
mich an seiner Stelle hätte es auch nicht überzeugt«,
erklärte ich ihm. »Ich glaube, wenn ich er gewesen
wäre, hätte ich keine Lust gehabt, mit dem Teufel zu
tanzen, um eure Meinungsmodelle zu optimieren – nicht mal, wenn
eure Superstar-Päpstin es mir befohlen hätte.«
    Ich machte eine Kopfbewegung zum tiefen Meer, zu den Sternen, zu
dem, was da draußen unter oder aus ihrem Blickwinkel vielleicht
auch über der Grenzfläche war, wie ich wußte.
    »Gibt mehr Dinge im Himmel und in der Hölle, Yorick, als
euer Katechismus euch träumt.«
    Der Kardinal sah mich scharf an, aber nicht, weil er seine
Majestät beleidigt fühlte. »Jetzt klingen Sie auch
schon so wie De Leone«, seufzte er.
    »Was für eine schreckliche Farce! Der Mann hat fast bis
zum Ende gegen das Unvermeidliche gekämpft, aber natürlich
hat er nur sich selber dazu bewegt, das zu tun, was er schon
längst beschlossen hatte, und wie ein alter Geizkragen, der
seine Erben mit seinem Testament quält, noch ein paar
Zugeständnisse herausgeholt. Ich glaube wirklich, er hat sein
Totenbett-Drama sehr genossen. Ist es seltsam, so etwas zu
sagen?«
    »Ach, es werden jeden Tag seltsamere Sachen
gesagt…«
    »Er hatte keinen qualvollen Tod. Eines Tages hat er sich
einfach ins Bett gelegt und ist nicht mehr aufgestanden. Er lag da,
Tag für Tag, Woche für Woche, ohne Schmerzen zu
verspüren, und wurde immer schwächer, war aber noch nicht
ganz soweit, sich in sein Schicksal zu ergeben, während es
allmählich mit ihm zu Ende ging. Er hat das Drama bis zur Neige
ausgekostet. Selbst die Päpstin begann schon, an ihren
Fingernägeln zu knabbern…«

 
VI
     
     
    O ja, sie denken, ich treibe grausame Spielchen mit ihnen,
während ich scheu an der Pforte des Todes verweile, und ich
glaube, daß zum Beispiel Kardinal Silver mir unter anderen
Umständen erklären würde, ich solle mich entscheiden,
solange ich es noch könne.
    Aber zu einem Sterbenden sagt man so etwas nicht. Ein Sterbender
hat seine Privilegien und Entschädigungen. Und wenn ein
Sterbender sich darüber zu ärgern beginnt, daß die
potentiellen Erben es gar nicht erwarten können, an seinen
Schatz zu gelangen, kann er immer so tun, als würde es mit ihm
weiter bergab gehen, und sie werden sich pflichtschuldig
davonschleichen.
    Grausame Spielchen? Mein einziger Schatz war meine Seele, und mein
einziger Trost der anhaltende Glaube an ihre Unsterblichkeit, und sie
baten mich ja nur darum, sie der

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