Deus X
informellen Konferenzraums zu empfangen.
Ein runder Mahagoni-Tisch mit einem Säulenfuß aus
geschnitzten Drachenbeinen, etwas niedriger als ein Eßtisch,
stand auf einem dunklen Orientteppich unter einer vergoldeten
Renaissance-Decke mit einer zweitklassigen Abbildung von der Madonna
mit dem Kind. Die Wände bestanden jedoch aus einer geschickten
Konfabulation hölzerner Bücherschränke und
Pflanzenständer, die ökologische Sensibilität,
intellektuelles Vergnügen und ein bißchen alte
Mutter-Erde-Mystik heraufbeschwor.
Ich merkte, daß ich den Raum kannte. Kein Wunder,
Päpstin Maria hatte dort oft Interviews gegeben und
Pressekonferenzen abgehalten.
Und da saß sie, auf oder vielmehr in einem Lehnsessel, der
nicht ganz grandios genug war für einen Thron, einem riesigen,
luxuriösen Prunksessel mit einem Bezug aus weißer Seide,
der mit päpstlichem Gelb in einem stilisierten Federmuster
bestickt war. Die anderen Stühle waren kleinere Ausgaben diesen
dekorativen Petrusstuhls, von denen aus man immer ein wenig nach oben
schaute auf sie, die aus jeder Perspektive am Kopfende des
päpstlichen runden Tisches saß.
Päpstin Maria selbst trug einen weißen Talar, in dem
sie ohne das große, auf die Brust gestickte grüne Kreuz,
die schulterlangen, silbergestreiften schwarzen Haare, die ihr
kupferfarbenes Gesicht umrahmten, und die von der Form her nur
andeutungsweise an eine Mitra erinnernde grüne Kappe auf ihrem
Haupt mit dem weißen Hintergrund verschmolzen wäre.
Es war das erste Mal, daß ich die Päpstin in Fleisch
und Blut sah, und ich verweile nicht deshalb bei diesen optischen
Details, weil sie mir Ehrfurcht einflößten, sondern weil
es eine andere Art von Ehrfurcht war, als ich erwartet hatte.
Maria L, die Medienikone – und nur so kannte ich sie –,
hatte diesen Raum in eine Kulisse für ihren päpstlichen
Glanz verwandelt, und diese Maria, die berühmter war als je ein
Papst vor ihr, hatte sich als die mütterliche Stimme der
Vernunft dargestellt, als politisch korrekte Pontifex und
Konsens-Madonna zeitgenössischer Weiblichkeit, als eine Art
amerikanische Politikerin, die keine Gelegenheit ausließ, die
Wähler mit ihrem Charme zu bezaubern.
Ein von Experten geschaffenes Image, zur Schau getragen von einem
flachgeistigen Symbol, hatte ich gedacht, eine Kreatur Kardinal
Silvers und seiner Medienkoryphäen, der erste weibliche Papst,
der erste, ureigenste Superstar der Kirche, dessen Verlautbarungen
eine um die andere den Drehbüchern der Meinungsumfragen zu
folgen schienen.
Ein Blick auf das Gesicht dieser Frau trieb mir jedoch alle
solchen Gedanken aus. Sie sah viel älter aus als das
künstlich bearbeitete Bild, das sie der Öffentlichkeit zu
präsentieren vorzog, und ihre harten schwarzen Augen wirkten
noch älter, in einem absoluten Sinn sogar viel älter als
ich. Ihre Raubvogelnase verlieh diesen Augen eine hoheitsvolle
Schläue, und etwas an ihrer Mundpartie ließ keinen Zweifel
daran, wer hier zu bestimmen hatte.
Das war keine für die Medien geschaffene Naive, keine
Marionette eines inneren Zirkels. Man mochte dazu stehen, wie man
wollte, dies war momentan der Kopf im Zentrum der Kirche, eine
brillante alte Frau, die auf Biegen oder Brechen –
wahrscheinlich durch beides, und nicht zu knapp – bis an die
Spitze der phallokratischsten Pyramide der Welt aufgestiegen war.
Was auch immer ich von ihren Ansichten hielt, wie auch immer ihre
wahren Überzeugungen aussehen mochten, es kam mir überhaupt
nicht unnatürlich vor, niederzuknien und ihren päpstlichen
Ring zu küssen, als Kardinal Silver mich vorstellte.
»Setzen Sie sich, Pater De Leone«, sagte die Pontifex,
als ich mich wieder erhoben hatte. »John, würden Sie uns
bitte Kaffee bringen lassen?«
Kardinal Silver hatte offenbar ebensowenig wie ich mit dieser
Entlassung gerechnet. Er sah sie lange an, und die Päpstin
erwiderte seinen Blick mit einem geheimnisvollen Gesichtsausdruck. Er
zögerte, seine Augen wurden schmal, und er ging widerwillig
hinaus.
Die Päpstin lächelte. »Kardinal Silver trägt
die Hauptverantwortung dafür, daß ich Päpstin
geworden bin, wie er als erster zugeben wird«, sagte sie
trocken. »Manchmal fällt es ihm allerdings schwer zu
verstehen, daß es letztendlich das Papsttum selbst ist, das den
Papst oder die Päpstin zu dem macht, was sie sind.«
»Eure Heiligkeit…?«
»Wir Päpste sind schließlich selbst in gewissem
Sinne Nachfolger-Entitäten, nicht wahr, Pater De Leone –
eine lange
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