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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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Kirche zu vermachen, damit diese
damit nach Gutdünken verfahre, während sie mich in eine
moralische Position brachten, in der ich ihnen den Wunsch nicht
abschlagen konnte.
    Päpstin Maria I. hatte mir erklärt, ich solle der Stimme
Gottes in meinem Herzen gehorchen, aber bis jetzt hatte diese Stimme
noch nicht gesprochen, und so konnte ich mich nur auf ihre
machtvolle, aber letzten Endes weltliche Logik stützen.
    Deshalb betet ein Sterbender. Er betet viel. Er betet aufrichtiger
und eindringlicher als je in seinem Leben. Und dann werden seine
Gebete vielleicht erhört.
    Eines Tages erwachte ich aus meinem ständigen,
unregelmäßigen Schlaf und stellte fest, daß die
Päpstin bei mir im Zimmer war. Sie beugte sich über mein
Bett und schaute mit aller Sorge der Welt auf mein schlafendes
Gesicht herab. In diesem Augenblick war sie eine Madonna, aber eine
weltliche, eine alte, von Kampfesnarben gezeichnete Madonna für
eine alte, von Kampfesnarben gezeichnete Welt, eine Madonna, die
bereit und fähig war, im Dienste Gottes eine unumgängliche
Missetat zu begehen, aber nicht, ohne einen persönlichen Preis
dafür zu bezahlen.
    »Wie ich sehe, sind Sie jetzt wach, Pater De Leone«,
sagte sie. »Sie machen mir angst, wissen Sie das?«
    »Sie befürchten, daß ich sterben könnte,
bevor ich mich entschieden habe…«
    »Mea culpa«, sagte die Päpstin, »mea maxima
culpa. Ich bin der Sünde schuldig, Ihre Seele zu
begehren.«
    »Meine Seele, Eure Heiligkeit, oder bloß meine
Software?«
    »Über all das sind wir doch schon längst
hinaus«, sagte Maria. Ein goldener Heiligenschein schien um sie
herum zu erstrahlen, und auf einmal schien eine andere Stimme aus ihr
zu sprechen, eine Stimme mitleidloser Liebe und mitfühlender
Erbarmungslosigkeit, eine Stimme, aus der jede Illusion geschwunden
war.
    »Dies sind die letzten Tage der Schöpfung, und es sind
Ihre letzten Stunden«, sagte diese Stimme. »Am Ende unserer
Zeit auf Erden stehen wir alle vor dem Unbekannten. Sie haben der
Kirche so gedient, wie Gott es Ihnen zu verstehen gegeben hat, aber
nun wird von Ihnen erwartet, daß Sie der Kirche jenseits dieses
Verständnisses dienen, daß Sie Ihre unsterbliche Seele
allein dem Glauben anvertrauen. Wenn es einen Gott der Liebe gibt,
Pierre De Leone, wird er eine solche Seele gewiß lieben und sie
vor allem Unheil bewahren.
    Und wenn es ihn nicht gibt, sind wir ebenso gewiß alle
verloren.«
    Die Päpstin lächelte wehmütig, und alles
Übermenschliche fiel von ihr ab. »Ich bin ein schwaches
Gefäß – schwächer, als ich es klugerweise
eingestehen sollte«, sagte sie, »aber insofern bin ich
unfehlbar.«
    Und in diesem Augenblick glaubte ich es ihr. Ich glaubte,
daß der Heilige Geist auf eine Weise durch diese Frau sprach,
die weder sie noch ich ergründen konnte, daß sie in ihrer
weltlichen Raffinesse ein Geschöpf spiritueller Unschuld war,
wie wir alle von einer größeren Weisheit gelenkt, als wir
jemals erfassen können, einer Weisheit, deren Zielen und Zwecken
wir am Ende tatsächlich blind vertrauen müssen.
    Insofern war sie in der Tat unfehlbar – insofern, als sie
Unsere Wahre Frau des Zweiten Sündenfalls war, die Inkarnation
der Kirche, die Vikarin Jesu auf Erden, ein echter weiblicher
Papst.
    »Vergeben Sie einem Sterbenden seine Kühnheit, Eure
Heiligkeit, aber was glauben Sie wirklich? Daß die Seele in der
Software weiterleben kann? Daß Sie die meine in die Hölle
oder in einen ewigen elektronischen Limbus schicken? Daß wir
als Muster aus reinem Geist in einer toten Welt weiterleben
können, wenn die Biosphäre endgültig verschwunden
ist?«
    Da sagte sie die Worte, die bewirkten, daß mein Geist sich
in das fügte, was die ganze Zeit über unvermeidlich gewesen
war.
    »Ich weiß es nicht«, sagte die Päpstin.
»Ja, es ist ein Experiment, und ein gefährliches für
unser beider Seelen obendrein, Pater De Leone, denn ich habe
keineswegs die Gewißheit, daß ich nicht Doktor Faust bin.
Aber wenn wir es nicht durchführen, wird die Kirche wie die
Spezies unwissend im Dunkeln brabbelnd in ihr Grab gehen.«
    »Selbst zum Preis unserer unsterblichen Seelen?«
    »Ja«, sagte die Päpstin. »Um als Frau zu
sprechen:
    Jeder Gott, der seine Geschöpfe dem Feuer übergäbe,
weil sie seinen Willen zu verstehen trachten, wäre unseres
Glaubens gewiß unwürdig. Als Päpstin leugne ich
natürlich, daß ich je so etwas gesagt habe.«
    Ich lachte laut. Ich konnte nicht anders. Mein Herz füllte
sich mit Liebe für

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