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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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nicht?
    Was würde aus dieser Gerechtigkeit werden, wenn ich mich
einfach abwandte? Die Berufsethik – sofern ich eine hatte –
besagte, daß ich es der Kirche schuldete. Meine eigene
große Klappe hatte mir schon längst erklärt,
daß ich es dem Wesen schuldete, das ich dort unten in den Bits
und Bytes ins Dasein gerufen hatte.
    Der Flug nach Rom über das Herz des armen alten Europa hinweg
war genauso, was ich erwartet hatte, und schlimmer. Pilot und Copilot
vorne, ich allein mit dem Lärm in der Kabine, wo es nichts
weiter zu tun gab als aus dem Fenster zu schauen und seinen
Mageninhalt nach Möglichkeit bei sich zu behalten.
    Es lag nicht nur am Durchsacken und am Gerüttel des
Flugzeugs. Damit hätte ein alter Seebär wie ich ohne diese
Übelkeit fertigwerden müssen, die an meinen Eingeweiden
zerrte.
    Aber ich hatte jetzt seit Jahren meine solipsistische Bahn um die
Küstenregionen des planetaren Katastrophengebiets herum gezogen,
und es war lange her, daß ich einen Blick in sein todgeweihtes
Herz geworfen hatte.
    Es war erheblich schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte,
erheblich schlimmer als in den Berichten auf den
Nachrichtenkanälen. Das riesige, überflutete Sumpfland, das
einmal Holland gewesen war. Die verdorrten Wüsten dahinter.
Skelettartige Dörfer und totes Ackerland. Der lange
Trockenlederstiefel von Italien, der vom grellen ultravioletten Licht
gegrillt wurde.
    Von oben gesehen, machte sich die ausgedörrte Landschaft
geradezu lustig über die Ansichtskarten von der Wiege der
westlichen Zivilisation – die Tulpenfelder und grünen
Flußtäler, die schneebedeckten Alpengipfel und
urtümlichen Wälder –, deren traurige Überreste
als in der Treibhaussonne bleichender kontinentaler Knochenhaufen
unter mir lagen.
    Das Flugboot landete vor der italienischen Küste, und ein
Gummiboot brachte mich zu einem halb verlassenen Dorf, wo ein
Hubschrauber mit wummernden Rotorblättern auf einem Sandstreifen
kauerte. Ein paar hagere, runzlige alte Männer und Frauen hatten
sich drumherum versammelt, um einen schnellen Segen von dem
Kirchenfürsten einzuheimsen, der neben der Flugmaschine stand,
sporadisch nickte und geistesabwesend kleine Handbewegungen
machte.
    Kardinal Silver scheuchte mich in seinen Hubschrauber, wir hoben
in einem Hagel von Dreck und kleinen Steinen ab, und dann ging es
Richtung Rom, hinweg über öde Wüsteneien und dann
über eine noch ödere, riesige, ausgedehnte Fläche
städtischer Irrgärten mit dem schlammigen Tiber im
Zentrum.
    Herunter kamen wir vor dem Petersdom, ein Aaskäfer, der sich
summend zur Erde herabsenkte, um auf dem großen Platz zu
landen, zu zwergenhaften Dimensionen reduziert von der mächtigen
Kolonnade drumherum, die uns in eine andere Welt zu ziehen schien,
ein ewiges Irgendwo jenseits der Spuren der Verwüstung, die die
Zeit und der Mensch hinterlassen hatten.
    Hinein ins Gelände hinter der Schweizergarde, die in ihren
Disneyworld-Kostümen lächerlich, aber auch irgendwie
rührend wirkte, und in ein Labyrinth von Fluren und Treppen, die
in die verstopften Gedärme des Planeten hinabzuführen
schienen. Um die Ecke und abwärts, wieder um die Ecke und durch
eine Luftschleuse in einen ziemlich kuriosen alten Clean Room –
Computerkonsolen, funktionelle Drehstühle, Bildschirme, der
Geruch von Ozon in der klimatisierten Luft.
    Eine Frau in weißen Gewändern mit goldenen Säumen
erhob sich von einem der Stühle, als wir eintraten. Ein
grünes Kreuz prangte über ihren Brüsten. Langes
schwarzes Haar unter einer weißen Kappe, irgendwo in der Mitte
zwischen einer Strickmütze und einer Baskenmütze. Die
kupferfarbenen, adlerartigen, königlichen Züge einer
alternden Aztekenpriesterin, schwarze Augen mit durchdringendem
Blick, für die man hätte sterben können, wenn sie ein
Jahrzehnt jünger und nicht die Päpstin gewesen
wäre.
    Aber trotzdem…
    »Danke, daß Sie gekommen sind, Mr. Philippe.«
Maria I. kam auf mich zu und hielt mir die Hand hin. Ich nahm sie
unsicher und küßte sie auf die Finger. So machen
sie’s doch im alten Europa, richtig?
    Falsch. Kardinal Silver warf mir einen bösen Blick zu, als
hätte ich mich mit der Salatgabel an den Eiern gekratzt.
    »Den Ring…«, zischte er zwischen zusammengebissenen
Zähnen hindurch.
    »Ich glaube, wir können auf die Formalitäten
verzichten, John«, sagte die Päpstin und warf ihm ein
schiefes kleines Lächeln zu. Dann richtete sie es mit voller
Kraft auf mich.
    Charisma, Ausstrahlung, weißt

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