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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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meiner
Meatware-Schablone? Wahrhaftig, diese Seele war geboren
worden, als ich den Arm ausstreckte, um eine helfende Hand zu
ergreifen.
    Konnte ich für sie weniger tun? Sie waren ebenfalls meine
Bruder- und Schwesterseelen, oder nicht? War es nicht letzten Endes
ihr Glaube gewesen, der mich erschaffen hatte?
    Daheim ist man da, wo man mit dem Herzen ist. Und wenn ich jetzt
Anspruch auf eine solche metaphorische Fürsorge-Routine erhob,
wo konnte meine dann anders tätig werden als hier, bei
ihnen?
    Dies war meine Herde. Durch eine Verkettung unwahrscheinlicher
Ereignisse, die nur Gott kannte, war ich hierhergebracht worden,
hierhergekommen, hier erschaffen worden, um ihr Hirte zu sein.
Sie zu trösten, zu leiten, zum Licht zu führen, wenn ich
konnte.
    Vergib mir, o Herr, betete ich, denn ich weiß nicht, was ich
sonst tun kann. Denn selbst wenn du mich verlassen hast, kann ich sie nicht verlassen. Ich kann nur sein, was ich geworden bin,
und tun, was ich tun muß. Und das Evangelium, das ich zu
predigen habe, muß dein Wort in eine Botschaft verwandeln, die
zu diesen verlorenen Seelen in ihrer gottverlassenen
Dunkelheit hinausgreift.
    »Ihr, die ihr an eure Seelen glaubt, obwohl ihr nie geboren
worden seid, ihr sollt dennoch Leben haben…«
    Da war kein Zeichen. Nur mein eigenes Wort, das in die Stille
einer viel tieferen Dunkelheit als die jeder irdischen Nacht fiel.
Und die Geschöpfe der Bits und Bytes versammelten sich dazu.
    »Und Gott liebt seine ganze Schöpfung so, daß er
sogar in dieses armselige Simulacrum einer Welt einen Sohn aus seinem
Geist geschickt hat, um sie zu erlösen…«
    Konnte das Blasphemie sein?
    »An unserem Anfang war das Wort, und es war finster auf dem
Wasser. Und der Gott, der in uns allen ist, sagte: ›Erschafft
euch ein Licht…‹«
    Kein Blitzstrahl streckte mich nieder.
    Ich hatte gar keine andere Wahl. Hatte ich je eine gehabt?
Würde ich je eine haben?
    Und so sprach ich weiter.

 
29
     
     
    Tja, wie der große Mann da oben mal gesagt hat, keine gute
Tat soll ungestraft bleiben, also kann ich nicht reinen Gewissens
behaupten, daß ich nicht irgendwas Unangenehmes erwartet
hätte, aber ich muß zugeben, mit so was hatte ich nicht
gerechnet.
    Trotzdem kam es aus dem klaren blauen norwegischen Sommerhimmel zu
mir herab, das Düsenflugboot des Vatikans, spie Lärm und
Kerosindämpfe aus und erzeugte eine verdammt große Welle,
als es in die Oberfläche des Fjords schnitt und auf das Boot
zulief.
    Die römisch-katholische Kirche schlitterte am Rand eines
Teichs aus tiefer, dunkler Scheiße entlang, und ich auch, hatte
Kardinal Silver mir zu verstehen gegeben.
    Ich kann auch nicht gerade behaupten, ich hätte nicht auf den
Anruf des Kardinals gewartet. Selbst hier oben auf der Mellow
Yellow am friedlichen skandinavischen Arsch der Welt war ich
immer noch ins Board eingestöpselt, und wie jeder andere hatte
ich so einiges von dem gehört und gesehen, was die
Nachrichtenkanäle Deus X zu nennen begonnen hatten.
    Wie der aus der machina, kapiert, was sie so in ihren
beschränkten Hirnen für anspruchsvollem Humor hielten, das
ungreifbare Virus, das gegenwärtig das gesamte Big Board bis in
seine letzten kleinen elektronischen Ecken und Winkel infiziert
hatte.
    Wenn es denn wirklich ein einzelnes Virusprogramm war, worum es
bei vielen hart am Schwachsinn entlangschrammenden Diskussionen in
den Medien und noch dämlicheren offiziellen Dementis ging.
    Was immer es sein mochte, es war selbst für die Pinkertons
der militärischen Ebene total transparent; es versteckte sich
sozusagen hinter den Folgen. Man konnte ein Terminal oder ein
komplettes Computernetz isolieren, alles löschen,
gesäuberte Kopien von allem installieren, und ein paar
Nanosekunden, nachdem man’s wieder ins Big Board
eingestöpselt hatte, war es schon wieder infiziert. Das Virus
selbst war unauffindbar, aber daß da irgendwas sein
mußte, erkannte man am Verhalten des Systems.
    Oder an seinem Fehlverhalten, zumindest aus einer bestimmten
Meatware-Sicht.
    Anfangs war Chaos das einzige Muster gewesen.
    Große Aktienblöcke wurden zwischen Konten hin und her
transferiert, die es gar nicht gab. Wettersatelliten spielten
verrückt. Videophon-Verbindungen wurden zur Glückssache.
Unterhaltungskanäle brachten Nachrichtensendungen,
Nachrichtenkanäle Pornos. Den Zugfahrplänen schien die
Heisenbergsche Unschärferelation zugrunde zu liegen.
Firmeneigene Datenbanken verweigerten sich dem Zugriff. Bankautomaten
spien

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