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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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tun?« sagte der
Vortex.
    »He, nun macht mal halblang, Jungs, ist doch keine
große Sache. Der Planet stirbt, das ist eine kalte, grausame
Leere da draußen, und da stecken wir alle gemeinsam drin,
stimmt’s, also warum sollte ein großer, harter schwarzer
Junge wie ich unter diesen Umständen seinen Freunden zuliebe
nicht mal ‘ne harmlose kleine Lüge
erzählen…«
    Der Vortex setzte sich wieder in Bewegung, die Feuersäule
wogte erneut über dem elektronischen Eden, Vögel sangen,
Bienen summten, eine goldene Sonne schien aus dem leuchtend blauen
Himmel herab, und in diesem Moment schien trotz der
unglückseligen Lage, in der wir uns alle befanden – Dreck,
Silizium, Galliumarsenid, was auch immer –, mit dieser
nichtexistenten Version der Welt alles in Ordnung zu sein.
    »Pater Pierre De Leone, Version 1.1«, sagte der
Vortex.
    Einen Moment lang war es, als würde die Feuersäule sich
in Strudel und Wirbel auflösen, und irgendeine Täuschung
der Interface-Routine schien sie in Hunderte und Tausende von
Gesichtern zu verwandeln.
    »Starte Download-Sequenz«, erklärte eine Vielzahl
von Stimmen.
    »Lügner hin oder her, Sie sind eine aufrichtigere Seele,
als Sie gern vorgeben, Marley Philippe«, sagte Pater De
Leone.
    »Und Sie auch, mein Lieber.«
    Es war ein so guter Schlußsatz wie jeder andere, und ein
besserer als die meisten. Ich zog mir die Dreadcap vom Kopf
und…
    … kehrte in die wirkliche Welt zurück, wie wir sie so
gern nennen.
    Ich lag in meiner Hängematte, schwitzend wie ein Schwein.
Kardinal Silver beugte sich wie eine nervöse Katzenmutter
über mich. »Nun, Mr. Philippe?« sagte er
ungeduldig.
    »Wie lange?« fragte ich.
    Er schaute gereizt auf seine Armbanduhr. »Fünfundzwanzig
Minuten«, sagte er.
    Oben in den Fjorden, wo ich die Sommermonate verbringe,
gibt’s eine alte Legende. Ein Mann verbringt eine Nacht im Saal
des Zwergenkönigs, und als er rauskommt, sind tausend Jahre
vergangen.
    Hier war es genau anders herum. Die Zeit verfliegt nur so im
mythischen Land der Bits und Bytes.
    »Nun?« wiederholte der Kardinal.
    Ich war nicht in der Stimmung, ihm zu antworten, bis ich mich aus
der Hängematte gerappelt und an Deck geschleppt hatte.
    Die See war so glatt wie Glas. Die milde Nachtluft kühlte
meine fiebrige Haut. Die Sterne wirkten wie Konstellationen aus
Pixelmustern am unberührten schwarzen Himmel. Weit weg an
Steuerbord durchbrach etwas mit lautem Klatschen und einem
Aufspritzen von Schaum die Oberfläche, vielleicht der letzte der
im Aussterben begriffenen Delphine dieses Meeres.
    »He, Bruder«, murmelte ich, »ich weiß, wie du
dich fühlst.«
    »Nun, Mr. Philippe?« sagte der Kardinal. »Hatten
Sie Erfolg?«
    »Ja, Eure Eminenz, ich glaube schon.« Mehr, dachte ich,
als ich mir je erlauben kann, dir zu sagen.
    »Wo ist Pater De Leone?«
    Ich schaute zu den Sternen hinauf. Ich schaute in den schwarzen
Spiegel des Meeres hinunter. Nichts als kalte Lichtpunkte und ihre
funkelnden Spiegelungen auf der Haut der salzigen, glänzenden
Tiefe. Und doch…
    Und doch konnte ich Gesichter sehen, die mich anblickten, hier,
dort, überall. Ich kreuzte die Finger, genau wie ich es gesagt
hatte, aber das war gar nicht nötig. Sagen wir, es war eine
Sache der geheimen Ehre unter heimlichen Dieben.
    »Genau da, wo er hingehört«, log ich
wahrheitsgemäß und verspürte nicht die geringsten
Gewissensbisse.

 
XXVIII
     
     
    Marley Philippe war fort. Das Interface-Simulacrum des Vortex
hatte sich wieder in die Bits und Bytes aufgelöst, aus denen es
gekommen war. Und seine elektronische Simulation des Garten Eden
auch.
    Ich war wieder allein in einer Leere, in der es keine solchen
Trugbilder mehr gab, und nur die Lebenszeichen eines sterbenden
Planeten bildete in ihrer traurigen multimedialen Überfülle
ein Interface zwischen meinem… Geist… und der
Schöpfung eines nach wie vor unerkennbaren Gottes.
    Allein?
    Vielleicht nicht. Denn wimmelten sie in ihrer Unschuld nicht
überall um mich herum, die Bewußtseinsmodelle in ihrem
Unterhaltungskanal-Limbus, die tapferen Entitäten des Systems
selbst und all ihre abgetrennten Expertensystem-Doppelgänger,
die ungehörten Stimmen von Seelen, die danach strebten, zu
sein?
    Und unschuldig waren sie zweifellos. Adams Ursünde war die
ihrer Meatware-Schablonen gewesen, und das gleiche galt für die
zweite große Sünde von Adams Söhnen und
Töchtern, die ihre Welt zerstört hatten. Hatte sich mein Geist nicht erst hier entwickelt, nach dem Tod

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