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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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die verbotene Frage.) Raoul, offenbar geradezu dankbar über diese Frage, legte los: »Den typischen Hartz-IV – Empfänger, na, den erkennst du auf einen Blick. Dünner, dreckiger Hund, kleine, dicke Alte dazu. Mindestens zwei Kinder, eins im Arm, eins im Kinderwagen und noch eins im Bauch. Immer kotterig, immer mies drauf, immer versoffen. Und am Ersten siehst du nur strahlende Gesichter: Hans Hartz der Vierte war da und hat Geschenke dagelassen. Zu jedem Erstendes Monats, da stehen sieben Fahrräder vor der Bank und zwanzig Fahrräder vor Schröder.«
    Raoul erklärte noch mal, und er erzählte das mit Stolz: »Wir sind nicht der typische Hartz-IV – Empfänger – der sieht anders aus. Wir arbeiten auf Baustellen, uns kannst du überall einsetzen, wir sind uns für keine Arbeit zu schade, wir ziehen auch andere Geschäfte an Land. Unser Geld kriegen wir immer irgendwie ran. Wir sind Ossis, verstehst du, wir sind tüchtig mit Geldmachen.«
    Warum war er, Raoul, der so schön abfällig über den typischen Hartz-IV – Empfänger erzählen konnte, dann selber im Club der Hartz-IV – Empfänger gelandet?
    »Die Maurerbude, wo ich vorher gearbeitet habe, die hat mich halt plötzlich nicht mehr genommen. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf Bau. Arbeitslosengeld gibt’s ja nur ein Jahr. Und Scheiße, auf einmal war das Jahr herum.«
    Mythos Hartz IV. Vielleicht war überhaupt nie zuvor eine Reform Gegenstand so zahlreicher Kneipengespräche gewesen. Das Riesending Hartz IV, das spürte der Reporter, würde noch oft, oft, oft und mit vielen Pilsbieren in den Händen immer wieder beschrieben und besprochen werden müssen.
     
    Heiko schaltete sich von hinter der Bar in das Gespräch ein. Er konnte ein bisschen mitquatschen, weil das Lokal sich bis auf wenige Gäste geleert hatte. Seine schlauen Äuglein blitzten.
    »Ich bin ja ein Befürworter«, sagte Heiko.
    Befürworter von was?
    Einfach so ein Befürworter?
    Befürworter der schönen Molle?
    Befürworter von allem?
    »Nun hör mal zu«, sagte Heiko. Und er schlug mit dem Geschirrtuch nach dem Kopf des Reporters. »Für viele ist es mit Hartz IV viel einfacher. Viele haben es doch nicht mal geschafft, ihre Miete zu überweisen. Das wird jetzt für die erledigt. Die Miete wird direkt vom Amt an den Vermieter überwiesen.«
    Heiko flüsterte, als sei das Folgende etwas, das man besser nicht laut aussprach: »Die Arbeit müsste wieder belohnt werden. Im Moment ist es für mich aber so, dass Vater Staat das Nichtarbeiten belohnt.« Heiko sah Raoul, Blocky und den Reporter an. Heiko sagte: »Weeßte …«
    Blocky und Raoul nickten.
    Heiko servierte noch ein Bier ins Lokal.
     
    Und nun sollte, genauso locker, ein anderer Mythos, der berühmte Jammer-Ossi, durchgenommen werden. Beide, Raoul und Blocky, hatten ein gesundes Misstrauen gegen Wessis, aber die Jammer-Ossis, so stellte sich heraus, die gingen ihnen noch mehr auf die Nerven.
    Raoul: »Jammern ist mit uns nicht.«
    Blocky: »Ich sage immer: Wir kriegen gar nicht mehr mit, wie sehr sich alles um uns herum verändert. Heute ist alles bunt. Aber noch vor zehn Jahren war das ganze Städtchen grau, grau, grau. Wenn sich täglich und seit Jahren alles um dich herum verändert, dann kriegst du das nicht mit.«
    Das Gespräch wurde getragener, gewichtiger, auch wolkiger, zäher: Es war jener staatstragende Teil, an dem jedes gute Trinkergespräch zwischendrin einmal ankommt. Deutschland, so Blocky und Raoul, könne stolz auf sich sein – aber sicher. Aber sowieso. Aber, bitte, ganz genau. Warum, bitte, auch nicht.
    Das Land habe ein zweites Land dazugekriegt, das wirtschaftlich bankrott war, und beide Länder aus eigener Kraft nach oben gebracht, und das, ganz ohne dass eine andere Nation, ganz ohne dass Moskau, Amerika oder Europa dafür hatten bezahlen müssen. Welches andere Land auf Erden hätte das, bitte, geschafft?
    Blocky war ein Fan von Weisheiten. An seinen Weisheiten, das merkte man, gefiel ihm gut, dass ihnen nur schwer zu widersprechen war. Und je später es wurde und je mehr Biergläser geleert waren, desto sicherer schien Blocky auf der Seite derer stehen zu wollen, die unbestreitbar im Recht waren.
    Blocky: »Ich sage immer, ob Ossi, Wessi, Gelber oder Brauner, ist egal. Wir sitzen alle rückwärts auf dem Lokus.« Er grinste den Reporter an: »Na, ist doch so!« Und dann erklärte Blocky noch einmal, glaubwürdig und mit schöner Ruhe, dass die erneute Trennung der Deutschen nach dem Fall der Mauer

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