Deutsche Geschichte
sagen pflegte. Also musste Bismarck gehen. Der Kaiser wollte selbst Außenpolitik machen. Darunter verstand er aber nicht geduldiges Aktenstudium, Gespräche und Verhandlungen mit Parteien, Interessengruppen, Botschaftern und Politikern anderer Länder; Politik machen hieß für Wilhelm II. Anweisungen geben und Reden halten. Doch »seine Reden, Interviews und Telegramme waren Katastrophen der Diplomatie«, heißt es dazu bei dem Historiker Golo Mann. Was Wilhelm von deutscher Größe, von Weltmacht, trockenem Pulver und scharfen Schwertern daherschnarrte, machte das »wilhelminische« Deutschland gefürchtet und unbeliebt.
Noch zu Bismarcks Zeiten hatte der Afrikaforscher Karl Peters gesagt: »Die deutsche Nation ist bei der Verteilung der Erde leer ausgegangen. Es gilt, das Versäumte von Jahrhunderten gutzumachen.« Aber Bismarck zögerte, er war kein »Weltpolitiker«. Anders Kaiser Wilhelm II., dessen Leitspruch lautete: »Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen.« Er und sein Reichskanzler von Bülow wollten beim Wettlauf um Kolonien und damit um Weltgeltung auch einen »Platz an der Sonne« ergattern. Dazu war vor allem eine Flotte nötig, das hatte England vorgemacht. Denn Rohstoff- und Absatzmärkte in Übersee konnten nur durch eine große Schlachtflotte erobert und gesichert werden. Also begann Deutschland mit dem Aufbau einer solchen Flotte. Die europäischen Staaten gewannen immer mehr den Eindruck, bei dem deutschen Drang nach Größe handle es sich nun nicht mehr nur um das berühmte Säbelrasseln, zumal der Kaiser und sein Flottenchef zu ernsthaften Verhandlungen über eine Flottenbegrenzung nicht bereit waren. Vorsichtshalber schlossen England, Frankreich und Russland Verträge, die Kriege untereinander ausschließen sollten. Bald fühlte sich Deutschland isoliert und eingekreist und sah nur noch Feinde um sich. Man glaubte, noch weiter aufrüsten zu müssen, um deutsche Interessen notfalls mit Waffen durchsetzen zu können. Da die Nachbarstaaten dabei nicht tatenlos zuschauten, wurde Europa zu einem Pulverfass, das schon beim kleinsten Funken explodieren konnte.
Mit Freude in den Krieg
Am 28. Juni 1914 wurden der österreichische Thronfolger und seine Frau in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo von serbischen Nationalisten ermordet. Die Tat sollte ein Zeichen für die Unabhängigkeitsbestrebungen der verschiedenen Nationalitäten innerhalb des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn sein. Aber sie löste den ersten Weltkrieg aus, einen Krieg, den niemand wirklich »gewollt« habe, wie es später hieß. Die »Männer und Mächte« seien in diesen Krieg »hineingeschlittert«, »hineingestolpert«, »hineingetaumelt«. All diese Begriffe aber klingen nach Rechtfertigung. »Männer und Mächte« schlittern und stolpern nicht einfach in einen Krieg hinein. Mit Taumeln kommt man der Sache schon näher. Es taumelt, wer nicht ganz bei Sinnen ist. Das traf auf viele große Männer zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu. Sie waren berauscht von der Droge Macht, hielten sich und ihre Nationen für auserwählt. Übersteigerter Nationalismus, Militarismus, Wettrüsten, Sendungsbewusstsein, Weltmachtphantasien sind die passenden Begriffe für diese Zeit. Mag sein, dass den Krieg niemand wirklich gewollt hat, aber wirklich verhindern wollte ihn eben auch niemand. Es sah eher so aus, als hätten alle Seiten nur darauf gewartet, dass endlich etwas passierte, zumal in einem Krieg »nicht der große und blindwütige Zerstörer« gesehen wurde, »sondern der sorgsame Erneuerer und Erhalter, der große Arzt und Gärtner, der die Menschheit auf ihrem Weg zur Höherentwicklung begleitet«, wie zum Beispiel in den Alldeutschen Blättern zu lesen war.
Am ehesten hätte Deutschland den Krieg verhindern können, denn allein konnte Österreich-Ungarn gegen das mit Russland verbündete Serbien nicht vorgehen. Stattdessen sicherte der deutsche dem österreichischen Kaiser in einem persönlichen Schreiben für jeden Fall Beistand zu. Und mit diesem Freibrief für einen Krieg machte Österreich-Ungarn am 28. Juli 1914 gegen Serbien mobil, worauf Russland am 29. Juli gegen Österreich-Ungarn mobil machte. Am 31. Juli forderte Deutschland die Rücknahme der russischen Mobilmachung, erhielt aber keine Antwort. Da erklärte Deutschland am Abend des 1. August 1914 Russland den Krieg und zwei Tage später auch Frankreich. Das war nach Ansicht des Generalstabs nötig, weil man den Krieg nach dem »Schlieffen-Plan« führen wollte: Um an
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