Deutsche Geschichte
der Westfront Ruhe zu haben, sollte Frankreich in einem »Blitzkrieg« besiegt werden, damit anschließend mit allen Kräften gegen Russland gezogen werden konnte. Bereits am 4. August marschierten deutsche Truppen durch das neutrale Belgien nach Frankreich, was England zum Kriegseintritt veranlasste.
An diesem Tag erklärte der Kaiser vor dem Reichstag: »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.« Damit sprach er vor allem die SPD an, die inzwischen die stärkste Partei im Reichstag war. Und tatsächlich waren die Sozialdemokraten für die Dauer des Krieges zu einem innenpolitischen »Burgfrieden« bereit, um zu beweisen, dass sie keine Reichsfeinde und vaterlandslosen Gesellen waren, wie ihnen immer wieder unterstellt wurde. Mit den Stimmen der meisten Sozialdemokraten wurde das Geld für den Krieg bewilligt.
Fast überall in Europa jubelten die Menschen, und die Soldaten, darunter viele Freiwillige, zogen begeistert in den Krieg. Sie gingen davon aus, dass sie für eine gute und gerechte Sache kämpften. Und sie waren überzeugt, sie würden an Weihnachten wieder zu Hause sein und als Helden gefeiert werden. Doch es kam alles ganz anders: Aus dem Blitzkrieg wurde nichts; französische und englische Truppen stoppten den deutschen Angriff kurz vor Paris. Der Bewegungs- wurde zu einem Stellungskrieg, bei dem keine Seite mehr einen entscheidenden Durchbruch erzielen konnte. Damit war der Schlieffen-Plan gescheitert und der Krieg für Deutschland praktisch schon verloren. Aber sowohl an der West- als auch an der Ostfront wurde weitergeschossen und gebombt. Von der anfänglichen Begeisterung war bald nichts mehr übrig. Die Soldaten begriffen, dass sie in diesem Krieg eher »Kanonenfutter« als Helden werden konnten.
Anfang 1916 wollte die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) in Verdun die Wende erzwingen. Es kam zu einer »Materialschlacht«, wie die Welt noch keine gesehen hatte. In der »Hölle von Verdun« starben etwa 700 000 Franzosen und Deutsche, ohne dass eine Seite die Schlacht für sich entscheiden konnte.
Auch im Osten kam es nach anfänglichen Erfolgen zu einem Stellungskrieg. Aber auf einen so langen Krieg war Deutschland nicht vorbereitet. Munition und Kriegsmaterial wurden knapp, also musste die Produktion möglichst schnell auf Rüstungsgüter umgestellt werden. Und weil Millionen Männer an der Front waren, mussten Millionen Frauen in den Rüstungsbetrieben der »Heimatfront« Schwerstarbeit leisten. Gleichzeitig wurden die Lebensmittel immer knapper, und die Bevölkerung erhielt Lebensmittelkarten, die zum Kauf von bestimmten Nahrungsmengen berechtigten. Als im Herbst 1916 auch noch die Kartoffelernte schlecht ausfiel, mussten sich viele Deutsche im folgenden Winter hauptsächlich von Kohlrüben ernähren, von denen aber niemand satt wurde.
Am 12. Dezember 1916 machte die deutsche Regierung gegen den Willen der OHL ein erstes Friedensangebot. Die Gegner nannten ihre Bedingungen für einen Frieden: Räumung der besetzten Gebiete, Abtretung Elsass-Lothringens, Kriegsentschädigungen und Neuordnung Europas nach dem Nationalitätenprinzip – was die Auflösung Österreich-Ungarns bedeutete.
Deutschland lehnte ab, denn die OHL mit den Generalen Hindenburg und Ludendorff an der Spitze, die deutsche Industrie und ein nationalistisches Bürgertum träumten immer noch von einem »Siegfrieden« mit großen Gewinnen an Land und Gütern. Also ging der Krieg weiter. Und die OHL befahl den unbeschränkten U-Boot-Krieg, bei dem auch neutrale Schiffe versenkt wurden. Daraufhin erklärten die USA am 6. April 1917 Deutschland den Krieg.
Wer nicht völlig verblendet war, musste wissen, dass mit dem Kriegseintritt der stärksten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt der Krieg für Deutschland nun wirklich nicht mehr zu gewinnen war.
Durch Deutschland zur Revolution
Ein wichtiges Ereignis für den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte fand um diese Zeit in Russland statt. Dort führten Not und Hunger zu sozialen Unruhen, die sich im März 1917 zu einer Revolution ausweiteten. Der Zar musste abdanken, Russland wurde Republik und mehrere Parteien stritten erbittert um die Macht.
Die Führer der radikalen Bolschewiki, der russischen Kommunisten, mit Lenin an der Spitze lebten seit einiger Zeit im Schweizer Exil. Nun wollten sie möglichst schnell nach Russland zurück und baten um die Erlaubnis, durch Deutschland reisen zu dürfen. Die OHL stimmte zu in der Hoffnung, Lenin würde die
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