Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Vice-Präsidenten wurden
von Itzstein, Robert Blum, Jordan
und
Dahlmann
ernannt, dann formirte sich der Zug und die Präsidenten voran, schritten nun diese deutschen Männer, unter Glockenläuten, Jubelrufen, Tücher und Fahnenschwenken durch die mit Blumen und Bannern geschmückten Straßen, wo jedes Haus in schwarz-roth-goldenem Schmucke glänzte, nach der Paulskirche, dem größten öffentlichen Raume der Stadt. Im Schiff der Kirche nahmen die Versammelten ihre Plätze ein, während die Gallerien bis zum Ersticken von Tausenden von Menschen angefüllt waren. Ueber der Rednerbühne schwebte eine Germania zwischen schwarz-roth-goldenen Fahnen und unter diesem Zeichen stand jetzt Mittermaier, mit dem silberweißen Haare und dem geistvollen Gesichte, und sprach die Wünsche und Hoffnungen des Vaterlandes aus. Vor Allem zuerst verlangte er, daß Jeder sich frei aussprechen dürfe, wie es ihm um's Herz sei, wobei er zugleich mit warmen Worten zur Eintracht und zum Frieden ermahnte. Ihm antwortete
Gustav Struve
, der für sich und seine Anhänger den Antrag stellte, daß sofort das Parlament die Grundrechte des deutschen Volkes zusammenstellen und über deren Verwirklichung wachen möge. Es folgten dann die Aufzählung der Hauptartikel des republikanischen Programms, welche wir ja bereits genügend kennen, und das Forderungen enthielt, deren Gewähr wir heute im Durchschnitt besitzen. Zuletzt verlangte Struve noch, um Deutschlands Zerrissenheit zu heilen, wieder die frühere Eintheilung in
Reichskreise
, sodann Aufhebung der
erblichen Monarchie
, Ersetzung derselben durch frei gewählte Parlamente, unter einem Präsidenten, und die föderative Verbindung dieser Theile, nach dem Vorbilde der vereinigten Staaten.
So unpraktisch und unausführbar für jenen Zeitpunkt diese beiden letzten Forderungen auch waren, so richtig war die Begründung seiner weiteren Ansicht, daß die gegenwärtige Versammlung in jedem Falle zusammenbleiben und irgend eine rechtliche
Grundlage
schaffen müsse, bis sie durch ein regelmäßig gewähltes Parlament ersetzt werde. –
Dieser Struve'sche Antrag schlug wie ein Gewitter in die Versammlung ein; die Meisten fühlten die Richtigkeit seiner Vorschläge, aber vor der Vorstellung:
provisorische Regierung
und
Republik
schreckten sie zurück. Man übersah dabei ganz, daß man hier ja überhaupt versammelt war, kraft der
Revolution
, und daß es dieselbe in verständiger Weise fortsetzen und neue Excesse vermeiden hieß, wenn die Versammlung sich nicht mehr trennte und die Bewegung so schnell als möglich in gesetzliche Pfade leitete. Den Principienkampf, ob Republik, ob Monarchie, den mußte man ablehnen, dagegen aber praktisch zugreifen, und die moralische Macht, die man jetzt besaß, nicht wieder aufgeben. Aber Gagern und seine Freunde, die sich hier leider von einer trostlosen politischen Unreife und auch Selbstüberschätzung erwiesen, weil sie sich schon für die eigentliche Regierung hielten, nahmen den Fehde-Handschuh der Principienfrage auf. Man begann über bloße Formfragen einen Streit, mit einer Hitze, die fast jetzt schon eine Spaltung Deutschlands herbeigeführt hätte.
Hecker
, vielleicht weniger gelehrt als die vielen Professoren, die hier saßen, bewahrte sich jedenfalls in jenen Tagen den klarsten politischen Blick; er sprach hinreißend für das Zusammenbleiben der Versammlung und gegen alle formellen Bedenken darüber, die hier auch wahrlich nicht am Platze waren: »Unser Volk blickt auf uns,« rief er aus, »es sucht in uns einen Sammelpunkt, es erwartet ihn in
uns
, da die Regierungen in Ohnmacht aus einander gefallen sind.
»Wenn wir nicht die einzige Drohung, die uns auf gesetzlichem Wege zu Gebote steht, nämlich die, des
Zusammenbleibens
ausführen, so haben wir die Sache der Freiheit um 50 Jahre zurückgeschoben! Beisammen müssen wir bleiben, bis eine vom Volke gewählte, gesetzgebende Versammlung da ist, denn ich fürchte, daß sie sonst nie zu Stande kommt!« –
So kämpfte der damalige Liebling des deutschen Volkes für eine
That
, und der greise weltkluge und erfahrene
Itzstein
unterstützte ihn auf das Lebhafteste. Wer möchte nun auch seinen Worten heute nicht vollkommen Recht geben? aber die Mehrheit der Paulskirche, die sich zu handeln fürchtete, entschied gegen ihn.
Auf den Straßen wogte es während dieser Verhandlungen von Menschengruppen, die Fahnen vor sich hertrugen, je nach ihrer Partheinahme mit den betreffenden Inschriften versehen. Hier: Republik!
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