Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Wege stehen bleibend, mehr Schmerz und Unheil bereitete, als ein klarsehender und entschiedner Despot. Kaiser Alexander düstrer und mehr mit sich zerfallen als je, hatte seine Gemahlin nach dem Süden, nach Taganrog begleitet. Schon durch mehrere äußere Unglücksfälle tief gebeugt, empfing er dort die Nachricht von einer weit verbreiteten Militärverschwörung, die sogar mörderische Absichten auf seine eigne Person haben sollte. Umsonst hatte er dieses Gespenst der Revolution bekämpft – nun stand es dicht an seiner Seite, und fast bis zum Irrsinn durch diese Botschaft aufgeregt, befiel ihn ein Gallenfieber, welches seinem Leben am 1. December 1824 ein Ziel setzte. Sein Nachfolger war von stärkerem Stoffe als er, durch und durch Despot; der ältere Bruder Constantin hatte schon früher dem Throne entsagt, über Blut und Leichen hinweg bestieg sein dritter Bruder
Nicolaus
den russischen Thron. Der Militäraufstand war wirklich ausgebrochen; man forderte eine freie Verfassung für Rußland, zur Gleichstellung mit Polen, das damals eine solche besaß, und die Verbindung mit dem letzteren Lande zu einem Einheitsstaate. Mit großem persönlichen Muth bot Nicolaus dem Aufruhr die Spitze, ließ die Aufständischen mit Kartätschen hinwegfegen, und machte sich zum
Selbstherrscher
aller Reußen. – Auch das Geschick der Griechen war um diese Zeit nahe daran sich zu erfüllen; drei furchtbare Kriegsjahre lagen bereits hinter ihnen, als die heldenmüthige Vertheidigung von
Missolunghi
, das drei Belagerungen nach einander aushaltend, sich endlich zugleich mit den eindringenden Türken, nebst Frauen und Kindern, am Anfang des Jahres 1826 in die Luft sprengte, der Griechenbegeisterung wieder den höchsten Aufschwung gab. In Deutschland stand jetzt König Ludwig I. von Baiern, der seit 1825 regierte, und als Freund und Förderer der Kunst stets ein warmer Griechenfreund gewesen, an der Spitze der Philhellenen. Weit reicher als zuvor flossen jetzt die Gaben, namentlich für den Loskauf gefangener Frauen und Kinder, welche die Türken als Sclaven nach Aegypten geschleppt hatten. – Nicht minder groß als in Deutschland war die neue Bewegung für die Griechen in Frankreich, in den Niederlanden und in Schweden, selbst die englische Politik sehen wir jetzt eine Wendung zu Gunsten der Griechen nehmen.
Lord Castlereagh
, der kalte Tory-Minister, der zu Englands Zorn und Beschimpfung so lange die Pfade der Metternich'schen Staatskunst gewandelt war, hatte sich in einem Anfall von Melancholie und körperlicher Ueberreizung mit einem Federmesser den Hals durchgeschnitten, als er eben zu dem Congresse von Verona reisen wollte. Die öffentliche Meinung stand nicht an, darin die Nemesis eines zerfleischten Gewissens zu erblicken, und das englische Volk brach in solchen Jubel über dieses Ereigniß aus, daß man in London deshalb mit allen Glocken läutete.
Ihm folgte als erster Minister
Lord Canning
, der, eine Mittelstellung zwischen Whigs und Tories einnehmend, dabei von edlem Wesen, nach allen Seiten hin besänftigend einwirkte. So handelte er auch jetzt in der Griechensache, zu deren Verherrlichung er schon in seiner Jugend eine begeisterte Ode gedichtet hatte. Auf seinen Betrieb bildete sich zum Verdrusse Oestreichs ein englisch-russisch-französisches Bündniß. Die Seeschlacht von Navarin 1827 zerstörte die türkisch-aegyptische Flotte, und als sich später England wieder wegen seiner Handelsinteressen von dem Bündnisse zurückzog, setzten Frankreich und Rußland den Krieg allein fort. Im Jahre 1828 war ganz Griechenland von den Türken gesäubert, und
Capodistria
wurde nun zum Präsidenten des griechischen Staates eingesetzt, bis 1829, durch den Frieden von
Adrianopel
, die
Unabhängigkeit Griechenlands
dauernd festgestellt wurde. Von 1832 an wurde Griechenland eine Monarchie und deren erster König war Otto I., ein Sohn König Ludwig's von Baiern. Das Ende des Griechenkampfes aber gab ein Beispiel und eine Lehre, was ein
Volk
vermag, wenn es sein Alles daran setzt, um frei und unabhängig zu werden. – Ich hoffe, daß ich Sie mit diesem kurzen Abriß der damaligen Zustände Europas nicht ermüdet habe, denn zu innig sind sie mit der Fortentwicklung Deutschlands verknüpft; an ihnen erzog sich der Volksgeist, bildete sich eine öffentliche Meinung heran, und sie erleichterten das schwere Herz. Mußte man es auch verlernen, für die
deutsche
Freiheit und Einheit laut zu schwärmen, so durfte man es doch öffentlich für
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