Deutschland allein zu Haus
ich und fange an zu heulen, aber nicht wegen der traurigen Verhältnisse in Deutschland, sondern wegen des schrecklichen Tränengases, das uns die Polizei direkt vor die Füße geworfen hat.
Ich versuche die beiden aus der Gefahrenzone zu bringen. Unsere Flucht zu dritt stellt sich nach ein paar Metern als schier unmöglich heraus: Der eine kriegt keine Luft mehr, der andere kann nicht mehr humpeln und der dritte – das bin ich – hat weder Luft, noch kann er humpeln.
Zum Glück kommt uns jemand zu Hilfe und greift dem Hamdi und dem Kemal auch unter den Arm – eine Deutsche sogar! Und zwar Frau Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart. Sie ist die Lehrerin von meiner Tochter Hatice.
»Guten Tag, Frau Lehrknecht-Ziegenbart, das ist ja so schön, dass Sie uns gegen diese Deutschen nicht alleine lassen«, bedanke ich mich keuchend.
»Herr Engin, lassen Sie uns bloß nicht mit diesen Deutschen alleine!«, antwortet sie.
»Dort drüben ist ein Dönerladen, lass uns dahin laufen, schnell, schnell«, brüllt der Lungenloser plötzlich laut. Natürlich nur so laut, wie es halt mit einer halben Lunge möglich ist.
»Ja, ja, schnell, schnell … Ich kann nur so schnell, wie es halt mit einem Bein möglich ist«, meckert der Kurzbein-Hamdi.
Kurz vor dem Schnellimbiss schaue ich panisch nachrechts und links und bemerke mit Schrecken, dass uns die Skinhääds längst eingeholt haben.
Im Grunde genommen aber nur einer! Und der Schreck in seinen Augen ist größer als der meine! Der guckt wie eine kahle Maus vor der riesigen Schlange!
Er wird ja auch von mindestens einem Dutzend schwarz gekleideter Chaoten gehetzt.
Er schaut sich angstschlotternd nach allen Seiten um, findet aber keinen Platz, wo er sich verstecken könnte. Ich reiße sofort die Tür des Dönerladens auf und brülle:
»Komm, Junge, schnell! Lauf rein!«
Mit gehetztem Blick schaut er mich an, dann Hamdi und Kemal und dann den türkischen Dönerladen, was ihm alles nicht sehr vertrauensvoll erscheinen will – was ich auch sehr gut nachvollziehen kann. So was nennt man allgemein vom Regen in die Taufe kommen. Ich glaube, es heißt doch Traufe, aber wie gesagt, ich bin im Moment genauso durcheinander wie er.
Panisch dreht er sich um und will zurückrennen, aber da sieht er die Meute, die ihn lynchen will, völlig aufgebracht um die Ecke kommen.
»Komm, Skin, komm schnell rein!«, brülle ich wieder.
Mit letzter Kraft wirft er sich in den Laden hinein und ich knalle hinter ihm die Tür zu. Kemal und der Kellner schieben den großen Getränkeautomaten vor die Tür.
Die drei türkischen Gäste an den Tischen schauen verblüfft zu dem völlig durchgedrehten Skinhääd runter, der sich die Anfangsbuchstaben des Namens seiner Freundin auf die Glatze hat tätowieren lassen. Ich tippe auf Sieglinde Schäfer.
Und der arme Junge starrt wie vom Donner gerührt zitternd und zähneklappernd mit riesengroßen, weit aufgerissenen Augen zurück:
Auf mich, Frau Ingeborg Lehrknecht-Zeigenbart, Kemal, Hamdi, die drei türkischen Gäste, den Kellner und den Mann mit dem dicken Schnurrbart und dem langen Dönermesser in der Hand hinter der Theke.
Der Kellner kommt mit einem großen Glas Ayran, mit extra viel Joghurt drin, in der Hand und ruft auf Türkisch:
»Hier, Bruder, trink, das tut bestimmt gut!«
»Nur die wenigsten deutschen Skinhääds verstehen richtig gut Türkisch«, sage ich dem Kellner und übersetze seinen Satz mit einer kleinen Änderung.
Ich glaube nämlich nicht, dass es diesem Skinhääd besonders gefallen würde, von einem türkischen Kellner ›Bruder‹ genannt zu werden. Und dass er in Wirklichkeit der verschollene Bruder von diesem türkischen Kellner ist, ist auch sehr unwahrscheinlich. So was gibt es nur im Fernsehen in den Nachmittagssendungen, wo grundsätzlich nur völlig verblödete deutsche Jugendliche und noch dümmere türkische Jugendliche eingeladen werden, um aus ihrem verpfuschten Leben zu erzählen.
Als der Skinhääd merkt, dass ihm von den Leuten im Imbiss vorerst keine unmittelbare Gefahr droht, kippt er das große Glas Ayran in einem Zug runter.
»Danke«, murmelt er mit gesenktem und nicht mehr so gehetztem Blick.
»Magst du Döner, Junge?«, fragt der dicke Kerl mit dem dicken Schnurbart und dem langen Dönermesser in der Hand.
Er schaut sich wieder ängstlich um und ist sofort einverstanden:
»Ja, gerne.«
Wobei ich wieder nicht einschätzen kann, ob wegen seines großen Hungers oder wegen des langen Dönermessers.
»Wenn
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