Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
Vom Netzwerk:
laufe ich zumindest nicht im Kreis, komme voran, und das ist das wichtigste. Obwohl der Regen inzwischen aufgehört hat, tropft es noch immer von den Bäumen. Auf dem schmalen Asphaltweg strömt mir Wasser entgegen und wird von meinen Schuhspitzen wie vom Bug eines Schiffs geteilt. Ich gehe gegen den Strom. Kurz vor der Höhe hat sich der Regenbach verlaufen, dann geht es wieder bergab, der Rucksack zieht nicht mehr, er drückt jetzt mit gleicher Kraft in mein Kreuz, und mein drittes Bein hat doppelt schwer zu tragen.
    Den Hildesheimer Wald im Rücken, duckt sich ein kleines, gedrungenes Dorf vor mir in das feuchtschwere Ackerland, so, als hätte es Angst vor dem Entdecktwerden . Bellende Hunde melden unser Kommen. Eine junge Frau steckt neugierig den Kopf aus einem Fenster. Als sie uns entdeckt, lacht sie zu meiner Verwunderung ein schönes, strahlendes Lachen. Gebrannt von Dollbergen, hätte ich jede Reaktion erwartet, nur kein Lachen. Um ins Gespräch zu kommen, frage ich, wo ich hier eigentlich bin. Kleinlaut, als sei ihr das peinlich, nennt sie
    den Namen ihres Dorfes, und schon wechselt sie das
    Thema: »Ihr Hund, der guckt aber traurig .« Mitten am Tag wittere ich Morgenluft. Also setze ich zu einer ergreifenden Schilderung dessen an, was sich gestern in Hildesheim mit meinem Begleiter zugetragen hat, lasse, ohne allzuviele Übertreibungen, den Unfall in jedem Detail vor dem Mädchen abrollen, lasse Reifen quietschen, Glas splittern, Blut fließen, erzähle von den hilfsbereiten Sinti und der Missionsschwester — und sitze wenig später am reich gedeckten Abendbrottisch der Familie Meierholz. »Nun essen Sie sich mal so richtig satt«, sagt Evelyn, die Krämerstochter , »bei uns sind Sie ja an der Quelle .« Zunächst weiß ich gar nicht, wo ich zuerst hinlangen soll. Schinken, eingemachte Heringe, Salzgurken, Mettwürste, Leberwürste, Fleischwürste, Salami, Frühlingsquark mit Schnittlauch — alles ist da, und sollte mir noch was fehlen, der Lebensmittelladen im Nebenraum ist gut sortiert, und nicht nur Lebensmittel stapeln sich dort bis unter die Decke, auch eine Lotto-Annahmestelle ist vorhanden, ein Schwarzkopf-Haarstudio und die Poststation vom Dorf.
    Ich bin überwältigt. Keine Spur von Mißtrauen, keine Fremdenangst, nur spontane Hilfsbereitschaft, als wollten meine Gastgeber die Sinti Lügen strafen, die mir eben noch sagten: »Die Gadschos , deine Leut , die kenn wir, die geben nix .« Sicher, ich bin kein Zigeuner, und ich habe einen frischoperierten Hund, der das Herz der tierliebenden Evelyn und ihrer Mutter durch seinen traurigen Blick auf Anhieb für sich gewonnen hat. Aber ich bin doch ein Fremder, abgerissen und verdreckt, dem ich an ihrer Stelle sicher nicht so ohne weiteres über den Weg getraut hätte. Natürlich werden mir Fragen gestellt, warum ich unterwegs bin bei diesem Wetter, woher ich denn komme und wohin die Reise denn geht. Aber meine Antworten geraten so vage, verschwimmen so sehr im Ungenauen, daß Mutter und Tochter es sehr bald vorziehen, lieber nichts mehr zu fragen. Aus Hamburg kommt der dahergelaufen, weiß nicht recht warum, weiß nicht recht wohin, das klingt merkwürdig. Stirnrunzeln. Fragende Blicke. Städter sind komische Menschen.
    Als das Telefon klingelt und Frau Meierholz aus der Küche eilt, fragt mich die Tochter, ob ich nicht Lust habe, mit ihr zum Schützenball ins Nachbardorf zu gehen, ich kann vorher auch noch duschen. Ich bin platt. In Dollbergen jagen mich die Bauern vom Hof, selbst der Pfarrer sperrt vor meiner Nase die Türe zu, und in diesem Dorf, zwei Tagesmärsche weiter südlich, will die Kaufmannstochter mit mir zum Schützenball.
    Frisch gewaschen, in meinem blütenweißen T-Shirt und in sauberen Jeans, meiner Wechselkleidung, fahre ich mit Evelyn Meierholz im Volkswagen die paar Kilometer nach Gronau . Vorher hat das Mädchen ein Scheunenquartier für mich besorgt, beim Bauern Friedel Bendschneider , einem Verwandten. Dort liegt jetzt Feldmann neben meinem Rucksack, er hat die Ruhe nötig. Während wir über die Landstraße brettern und die Chausseebäume nur so an uns vorbeifetzen, frage ich Evelyn, ob sie denn gar keine Angst hat vor mir und dem Gerede der Leute. »Ihr beide seid schon in Ordnung«, sagt sie mit ihrem zähneblitzenden Lachen, »und was die Leute sagen, ist mir schnuppe. Mir reicht’s , daß ich dieses Volk acht Stunden am Tag mit Rollmöpsen bedienen muß, mein Privatleben geht die gar nichts an .«
    Im Festzelt dampft es

Weitere Kostenlose Bücher