Deutschlandflug
Risiko ausschließen zu wollen; es könne sich nur darum handeln, exzessive Ausmaße einzudämmen. »Wir müssen heute«, so mahnte er mit nur leicht erhobener, aber eindringlicher Stimme, »im Deutschland der mitt- und endsiebziger Jahre für unseren hohen Lebensstandard einen gewissen Preis zahlen.« Wer nicht bereit sei, ein übrigens durchaus zumutbares Maß an Lärm- und Geruchsbelästigung auf sich zu nehmen, verschließe sich den Forderungen der Gemeinschaft, in der es sich schließlich recht gut leben ließe. Wer sich über ein paar Flugzeuge mehr oder weniger ereifere, im übrigen aber seit Jahrzehnten die Toten im Straßenverkehr akzeptiere, mache sich unglaubwürdig.
Spätestens an dieser Stelle riß Jason die Geduld. Er schlug auf den Tisch, daß es durch die Fernsehstuben dröhnte, nicht mit dem Kugelschreiber, sondern mit der Faust; und dieser Ausbruch wurde ihm gerade von jenen Bürgern verübelt, deren Lebensqualität er doch eigentlich erhalten wollte.
Nach diesem Zwischenfall schien der Moderator eine gewisse Scheu zu zeigen, Jason überhaupt zu Wort kommen zu lassen; und so erging sich Haxfeld jetzt darin, die Schutzmaßnahmen auf dem alten Flughafen Rhein-Main darzustellen.
Da gab es ökologische Untersuchungen des Botanischen Institutes der Justus-Liebig-Universität in Gießen: über Staubmessungen im Frankfurter Stadtwald, über den die beiden Einflugschneisen für die Bahn 25 R und 25 L hinwegführten. Sie stammten aus dem Jahre 1973; und während der Flugverkehr auf der rechten Bahn kaum Auswirkungen auf den Baumwuchs hatte, zeigten die Wälder unter der linken Schneise starke Schädigungen. Ohne Zweifel ließen sich daraus interessante Schlüsse in bezug auf die Umweltschädlichkeit der Galaxy ziehen, jenes damals größten Flugzeuges der Welt, das vom amerikanischen Military Air Command ausschließlich auf der linken Bahn benutzt wurde. Aber was hatte das alles mit Jasons Anliegen zu tun?
Er machte einen kurzen Einwand; aber Haxfeld überging ihn mit der Bitte, nur noch rasch einen abschließenden Satz sagen zu dürfen. Dann kam er auf den Vogelbestand des alten Rhein-Main-Hafens zu sprechen. Die Artenvielfalt werde weniger durch den Luftverkehr als vielmehr durch den trockenen Sandboden eingeschränkt.
Es gäbe aber um den Flughafen herum auch einige äußerst seltene Arten, zum Beispiel Steinschmätzer und Brachpieper. Grundsätzlich lasse sich sagen, daß der Luftverkehr den Vogelbestand nicht beeinflusse. Im übrigen würden in den Fallen zum Schutz der an- und abfliegenden Maschinen alle Vögel lebend gefangen, beringt und wieder freigelassen, mit Ausnahme der überhandnehmenden Krähen. Tatsachen, an denen nicht zu zweifeln war und denen Jason eine gewisse Anerkennung nicht versagen konnte.
Als er auf den neuen Hafen und auf die Gefährdung der Altrheinarme durch die sich ausbreitende Flughafenindustrie zu sprechen kommen wollte, lenkte der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, Dr. Matz, ein junger, dynamischer Astheniker mit Bürstenhaarschnitt, geschickt auf die Frage an Haxfeld hin, wie denn auf dem neuen Hafen das Vogelproblem gelöst werden solle.
»Sehen Sie«, begann Haxfeld und lächelte süffisant Jason an, »das wird auch unseren vogelkundlichen Schriftsteller begeistern: In weitester Umgebung ist Rhein-Spessart der einzige Ort, an dem endlich wieder einmal Kiebitze in größerer Anzahl auftreten. Sie wissen, Hessen ist mit Kiebitzen nicht übermäßig gesegnet. Diese Kiebitze werden sich, genauso wie in Hamburg oder Düsseldorf, durch den einsetzenden Luftverkehr nicht vertreiben lassen.«
Jason hatte, was seiner großzügigen, mehr emotionellen Art sehr zuwider war, mühsam ein Expos über die Zugrichtung der Lachmöwen aus dem Kühkopf ausgearbeitet, die bei der Nahrungssuche zweimal täglich die Einflugschneisen kreuzten. Aber als er endlich Gelegenheit zu einer ungestörten Ausführung fand, machte ihn der Moderator freundlich, aber entschieden auf die abgelaufene Zeit aufmerksam.
Es war in diesem Augenblick, daß Dollinger zu Hause vor seinem Farbfernseher wütend ein Buch in Richtung Apparat schleuderte. Daß Jason trotzdem bei einem Teil des Fernsehpublikums einen relativ guten Eindruck hinterließ, war einer Tatsache zu verdanken, die er hinterher so charakterisierte:
»Da hast du es wieder, Dolf: die ganze Schweinerei mit dem Informationskult! Nichts als Pseudo-, als Falschinformation. Das doofe Lieschen Müller, das von nichts, aber
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