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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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auch absolut nichts eine Ahnung hat, beglotzt voller Wonne die scheinbare Vielseitigkeit der Meinungen. Jeder kommt zu Wort, jeder darf seinen Senf dazugeben – eine Allround-Information! Der deutsche Michel ist noch niemals so verarscht worden wie in jenem feuilletonistischen Zeitalter, indem man ihm weismachte, er werde informiert! Ich glaube, daß das alte Mütterchen in ihrer Kate zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges besser informiert war! Weißt du, es ist wie bei einem Krimi: Der Zuschauer soll von den echten Problemen auf Scheinprobleme gelenkt werden, die noch dazu amüsant und voller schöner Leichen sind!«
    Und als er wutschnaubend zu später Stunde aus dem ZDF-Studio stapfte und zu allem Unglück noch von einem späten Reporter abgefangen wurde, machte er seiner Empörung in einer Kaskade von Emotionen Luft:
    Er sähe eine direkte Verbindung zwischen der Diktatur Hitlers und der Diktatur der modernen Industrie. Hitler habe zugunsten seines Großdeutschen Reiches friedliche Völker überfallen und die Juden ausgerottet. Die deutsche Industrie rotte zugunsten des Kapitalismus und seines Profites durch die Zerstörung der Natur die Schönheit und Würde menschlichen Daseins aus. Und so, wie Hitler Kanonen statt Butter versprochen hatte, würde der Industrialismus nicht ruhen, ehe der letzte Wald, der letzte See mit Masten, Schornsteinen, Baugruben vollgepfercht sei.
    Da jener späte Reporter nicht der FAZ oder WELT, sondern dem DARMSTÄDTER ECHO angehörte, trug ihm dieser Ausbruch lediglich lokale Bedeutung, aber immerhin die Schlagzeile ›Bekannter Dichter verteufelt Industrie‹ ein. Wohlweislich hatte man Schriftsteller durch Dichter ersetzt, um den klaffenden Abgrund zwischen Realität und versponnener Träumerei sichtbar zu machen – obwohl in der gesamten Redaktion keine einzige Dichtung, sondern lediglich die Zeitungsaufsätze Jasons bekannt waren.
    Das deutsche Fernsehpublikum indessen ging nach der abendlichen ZDF-Sendung sehr befriedigt, sehr angetan auch von Jason zu Bett. Gerade die Unbeholfenheit des Intellektuellen hatte bewiesen, daß in einer Demokratie jeder seine Chance erhielt, jeder als Partner, als Gegner der mächtigen Industriellen zu Wort kam.

10
    Es war eine Stunde und einundzwanzig Minuten nach dem Start, sechzehn Minuten vor der Notlandung der ›Steppenadler‹ auf Zürich-Kloten, als das Telefon auf dem Palisandertisch Quandts läutete.
    Quandt hatte die Angewohnheit, bei starker nervlicher Belastung seine dicken Havannas nur zur Hälfte zu rauchen und sorgfältig zu löschen – ein Relikt aus der Nachkriegszeit, als er mit einer Zigarre fünf Tage auskommen mußte.
    Am Ende der Leitung war der Polizeipräsident.
    Nach den ersten Sätzen schon drückte Quandt seine frische Zigarre aus – alles andere als sorgfältig. Seine Gesichtsmuskeln spannten und verkrampften sich. Er sog heftig die Luft ein und trommelte mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte!
    »Und weshalb erst jetzt? Weshalb nicht rechtzeitig vor der Landung? Ja … ich weiß! Aber vielleicht ist die ganze Warnung schon zu spät! Himmel … ich alarmiere sofort die Flugdienstzentrale! Nur sie kann die Zweitausend noch zurückrufen!«
    Er knallte den Hörer auf die Halterung und wählte die FDZ. Schweiß rann in Strömen über sein breites Gesicht. Von der zerdrückten Zigarre stiegen dünne Kringel wie Rauchzeichen auf. Er wählte noch einmal. Verzweiflung zeichnete seine Züge. Er griff zum nächsten Apparat und schob ihn wütend von sich.
    Es ging um Sekunden. Und immer, wenn er die Nummer der Zentrale wählte, war die Leitung tot!
    »Ihr Horoskop ist umwerfend!« sagte Ulla Voorst. »Vielleicht interessiert es Sie – heute?«
    Gundolf stand am Fenster und blickte über das Betongewirr von Gehsteigen, Fingerbrücken, Roll- und Startbahnen, Antennen und Weideflächen hinweg weit in die blaue Ferne über dem unsichtbaren Rhein. Sein kühn entworfener Schreibtisch, der mehr einem Schaltpult glich, widerte ihn an. Wenn er die Taste für indirekte Beleuchtung drückte, knackte es im Lautsprecher – das war alles. Wollte er eine simple Schublade aufziehen, blinkte infolge eines Wackelkontaktes eine rote Warnleuchte, deren Bedeutung er erst demnächst einer Betriebsanleitung entnehmen würde.
    »Ein bißchen Glück könnten wir alle gut gebrauchen, nicht wahr!«
    »Also: Hier ist Ihr Widderbericht!« Sie hatte die Horoskopseite einer deutschen Populärillustrierten aufgeschlagen, strich sich eine

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