Deutschlandflug
Wie arbeitet eine barometrische Bombe? Weshalb kann die ›Steppenadler‹ eigentlich nicht landen?«
Gundolf ließ sich in den Sessel fallen.
»Es gibt zwei Möglichkeiten, eine barometrische Bombe anzubringen. Erstens: außerhalb der Druckkabine. Zweitens: innerhalb der Druckkabine. Fall eins ist ganz einfach. Der Luftdruck nimmt mit der Höhe ab. Überschreitet der Druck ein vorgewähltes Minimum, detoniert die Bombe.«
»Weshalb ist sie nicht schon beim Steigflug oder am Boden detoniert? Da wäre doch der Druck höher gewesen als der vorgewählte für dreizehntausend Fuß?«
»Es gibt Bomben, deren Automatik schaltet sich erst nach einer gewissen Zeit oder nach einem Nachlassen des Luftdruckes ein. Vorher war die Bombe gar nicht scharf.«
»Fall eins ist klar. Aber auch der hoffnungsloseste Fall, nicht? Es gibt ja keine Möglichkeit für die Besatzung, von innerhalb der Druckkabine an die Bombe außerhalb der Druckkabine heranzukommen!«
»Richtig!«
»Und Fall zwei?«
»Der liegt komplizierter. In der Druckkabine eines Jets wird ja nicht einfach künstlich der Bodendruck gehalten, sondern die Kabine steigt, wie man sagt, langsam mit, wenn auch nur begrenzt. So herrscht zum Beispiel in einer Reiseflughöhe ein Kabineninnendruck von rund zweitausend Metern. Die Luft ist dann so dünn wie auf einem Berg im Alpenvorland.«
»Klar. Und wenn das Flugzeug landen will, muß der Kabinendruck wieder langsam erhöht werden, damit er beim Aussteigen der Passagiere wieder dem Außendruck gleichkommt. Und bei dieser Druckzunahme kann dann die Bombe hochgehen, ganz gleich also, ob sie außerhalb oder innerhalb des Drucksystems liegt!«
»Richtig! Und daher die Warnung, nicht tiefer als dreizehntausend Fuß zu gehen!«
Sie dachte nach und wendete ein:
»Es müßte aber eine Möglichkeit geben, heil zu landen. Wenn der Bordingenieur – der regelt doch den Kabinendruck, nicht? Wenn der bis zur Landung Höhendruck hält, dann kann die Bombe doch nicht hochgehen. Oder?«
»Sehr clever! Aber was passiert, wenn man eine Tür öffnet? Irgendwann müßten die Passagiere ja mal raus!«
»Natürlich … Dann würde es wumm machen, weil dann automatisch der Angleich an den Bodendruck erfolgt.«
»Explosionsartig sogar.«
»Ja, aber … eine Explosion am Boden wäre immerhin nicht so verheerend wie in der Luft …«
»Leider gibt es einen technischen Grund, der eine solche Möglichkeit verhindert.«
»Scheißtechnik!«
»Beim Aufsetzen des Fahrwerks wird automatisch immer der Bodendruck hergestellt. Durch einen Schalter am Fahrwerk. Dem sogenannten Scherenschalter!«
»Der läßt sich nicht vom Cockpit schalten?«
»Nein. Dieser Schalter ist aus Sicherheitsgründen eingebaut. Damit beim Öffnen der Türen nach der Landung immer der Druckausgleich da ist.«
Am Rednerpult fiel Jason leicht in eine geduckte Haltung. Seine asthenischen Schultern hingen schwer herab, als bedrücke ihn sein Thema, über das er seit zehn Minuten zu den dicht gedrängt sitzenden und stehenden Vereinsmitgliedern sprach. Die Farbe seiner Cordjacke, die er sich leger umgehängt hatte, paßte genau zu der Farbe seines strohblonden Haares, dessen Strähnen er von Zeit zu Zeit aus dem scharf profilierten Gesicht strich. In Vorträgen hatte er eine markante Art, die Endsilben der Tätigkeitswörter zu betonen, eine Eigenart, die sich im Gespräch leicht verlor. Obwohl der Rollkragenpullover und die ungezwungene Weise, sich zu geben, ihm jugendlichen Schwung verliehen, verschwand dieses Image sofort wieder, wenn man aus der Nähe seine Augen sah: Sie zeugten mit ihren dunklen Höhlen von durchwachten Nächten und tiefen Sorgen.
»In einer Welt«, so setzte er nach einem kurzen und relativ dünnen Applaus seinen Vortrag fort, »in der nur Geld und wirtschaftlicher Erfolg zählen, wird es zunehmend schwerer, folgendes klarzumachen: ein griechischer Fischer, ich will mich nicht auf Griechenland festlegen, meine Damen und Herren, es kann auch Trinidad oder Peru sein, ein Fischer, der Nachmittag für Nachmittag lächelnd vor seiner Hütte sitzt und Zeit für Frau und Kinder hat und der gar nicht daran denkt, mehr zu fangen, als er für den nächsten Tag zum Leben braucht – ein solcher Mann besitzt nicht nur relativ, sondern objektiv einen höheren Lebensstandard als der moderne Zivilisationssklave inmitten seiner Auto-Fernseh-Kühlschrank-Pseudokultur.«
Mit Unbehagen beobachtete er, daß bei jenen Stellen, die ihm am meisten am Herzen lagen,
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