Deutschlandflug
radeln. Diese Strecke direkt am östlichen Rheinufer entlang, wie hieß die Gegend? Knoblochsaue, herrlich. Ich will nicht wieder rein in den Schlamassel. Erstes Gebot eines Polizisten: nur Fakten beachten, keine Mutmaßungen anstellen; aber was tun, wenn die Fakten so spärlich sind? Also: Hypothese, zwei Möglichkeiten: arabische Terroristen oder deutsche Terroristen. Oder: die harmlosere, freilich mit echter Bombe kaum weniger gefährliche Gruppe der Flughafen-Protestierer. Dieses Mal mache ich reinen Tisch. Moment mal, war da nicht ein Protestzug der Protestierer angemeldet und genehmigt für zwei Stunden? Richtig, traf nicht rechtzeitig ein wegen Verstopfung der Zufahrtsstraßen, waren mit drei Bussen steckengeblieben. Später sowieso aufgrund der besonderen Sicherheitsvorkehrungen nach der Bombenwarnung verboten. Bei dieser Gruppe liegt der Schlüssel. Mutmaßungen, natürlich. Ich mutmaße, wir mutmaßen, sie maßen Mut. Eine Mordsschweinerei wäre das, auf diese infame Art den festlichen Eröffnungstag kaputtzumachen. Die mache ich fertig.
Dieses Mal mache ich reinen Tisch.
Jason blätterte wütend in dem Stapel Akten, Kopien und Gutachten auf seinem Bürotisch. Zwischendurch sah er zu Jan Kaller hinüber, dem Starreporter des RHEIN-SPESSART-ECHO. Wobei, dachte er grimmig, das Attribut Starnichts anderes besagte, als daß Kaller mehr oder weniger der einzige Reporter der Lokalzeitung war.
»Du kannst den ganzen Papier-Montblanc mitnehmen, Jan! Vorausgesetzt, du hast einen genügend großen Kofferraum. Du bist meine letzte Hoffnung; und was das heißt, weißt du: Wir liegen auf allen vieren zappelnd am Boden und grämen uns!«
»Ich ziehe eine paar Schwerpunkte der Vollständigkeit vor.« Kaller grinste, wobei die rechte Mundpartie sich auffallend verzerrte. »Am besten, du redest und blätterst drauflos. Das Tonband läuft; ich sortiere später aus.« Seit Kaller beim Rhein-Spessart-Echo arbeitete, waren sie Mitkämpfer in Sachen Umweltschutz. »Was ich für die morgige Ausgabe brauche, sind facts. Laß also dein übliches Selbstmitleid weg!«
»Im Verfahren über den Bau von Rhein-Spessart hat das Verwaltungsgericht in Darmstadt inzwischen in 35 von insgesamt 114 Anfechtungsklagen gegen den Planfeststellungsbeschluß der betroffenen Minister für Wirtschaft und Technik ein Urteil gefällt. Dabei ist herausgekommen, daß sich das Gericht überraschend verständnisvoll zugunsten all unserer Mini-Wehwehchen äußerte, aber um so härter bei allen entscheidenden Fragen gegen uns entschied.«
»Was hast du eigentlich erwartet? Daß der Bau abgeblasen wird? Bloß weil ein paar Naturapostel weiterhin durch grüne Auen eilen und Schmetterlinge fangen wollen?«
»So hieß die wörtliche Formulierung, ja.« Er kratzte sich verbittert am Schädel. »Wenn ich dich hier sehe, anstelle der benötigten Koryphäen der FAZ, WELT und FRANKFURTER RUNDSCHAU, dann fällt mir der Glaube an den Sieg schwerer als der an die Unbefleckte Empfängnis! Übrigens: Die Entscheidungen dieses erlauchten Gerichtes sind von grundlegender Bedeutung, weil das Luftverkehrsgesetz selber nur wenige und sehr auslegungsbedürftige Passagen zum Planfeststellungsverfahren besitzt. Das hatte vorher noch gar keiner gemerkt!«
»Glaubst du wirklich, meine großen Brüder könnten jemals auch nur eine einzige Zeile zu euren Gunsten bringen? Den Flughafen verdammen heißt: das Groß-Kapital, den Hoch- und Tiefbau, die Stahlindustrie, die Bankwirtschaft, die öffentlichen Verkehrsbetriebe, die Deutsche Bundespost und die Gewerkschaften verdammen. Kurzum: alle jene, die in ebendiesen Zeitungen inserieren.«
»Welch neuartige Erkenntnis, also weiter! Der erste Planfeststellungsbeschluß, der am 22. Oktober 1969 von den zuständigen Ministern für Wirtschaft und Verkehr erlassen wurde, ist nicht rechtswirksam geworden: Insgesamt haben 92 natürliche und juristische Personen Anfechtungsklage erhoben, darunter zwölf Städte und Gemeinden. Das Darmstädter Gericht hat dann den Beschluß durch Urteil aufgehoben. Der Grund war ein Knüller: Die Anordnung der Hessischen Landesregierung aus dem Jahr 1961, mit der der Hessische Minister für Wirtschaft und Verkehr in die Planfeststellungsbehörde beordert wurde, war unwirksam. Ihre Veröffentlichung war nicht im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, sondern im Staatsanzeiger erfolgt. Das Ganze hat den Bau leicht verzögert, aber nicht verhindert.« Kaller gähnte laut und demonstrativ.
»Hör
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