Deutschlandflug
Schlafstätten zurückkehren. Du siehst: Ihre Bahnen kreuzen die An- und Abflugstrecken der Flugzeuge. Im Gegensatz zu den sensiblen Graureihern und Singvögeln werden die Möwen keinesfalls vergrämt durch den Flugbetrieb. Es sind Abfallfresser; und den meisten Abfall gibt es in Menschennähe. Ihre Zahl wird also noch zunehmen. Die Nähe von Vogelschutzgebieten beschwört die Gefahr von Vogelschlag an Flugzeugen herauf.«
»Lebensgefährlich, schätze ich?«
»Eine Graugans wiegt zwischen 2,9 und 3,7 kg. Die Festigkeit von Cockpitscheiben wird zur Zeit nur bis zu einem Vogelgewicht von 4 englischen Pound garantiert. Enten haben schon Starfighter zum Absturz gebracht, zum Beispiel über Bad Meinberg am 28. April 1967. Dazu muß man folgendes wissen: Der Zerstörungsfaktor bei einem Zusammenstoß ist proportional dem Vogelgewicht, multipliziert mit dem Quadrat der Aufschlaggeschwindigkeit. Auf deutsch: Schon ein mittelgroßer Vogel trifft ein mit nur zwei Dritteln seiner Reisegeschwindigkeit fliegendes Flugzeug mit einer Aufschlagkraft von rund 15 Tonnen. Dabei ist die Geschwindigkeit weitaus ausschlaggebender als die Vogelgröße.«
»Du hast deine Physik des Bird-Strikes gut gelernt, was?«
»Wir haben jahrelang mit diesen Argumenten operiert, Gutachten eingeholt, Empfehlungen, Warnungen. Mit welchem Ergebnis, kannst du morgen bei der Eröffnung besonders gut studieren!«
Jason zog eine Schublade auf und knallte eine Akte auf den Tisch. »Hier: Das ist der bisher dramatischste Zusammenstoß zwischen Vogel und Jet über Deutschland. Hat sich 1972 ereignet, kurz vor Weihnachten, haha. Sieh zu, was du jetzt aus dem Material machst; es ist ja nicht dein erster Artikel gegen den Hafen. Aber morgen, wenn alle Welt in Eröffnungs-Euphorie schwelgt, wird dein Protest besonders einschlagen. Wenigstens mildert er unser Rachebedürfnis.«
Kaller zuckte die Schultern und begann, den Bericht zu studieren.
Vogelschlag-Bericht vom 17.12.1972
Vorgang: Eine Boeing 707 der ›Deutschen Lufthansa‹ befand sich um 11 Uhr 45 GMT, von München kommend, im Anflug auf Köln-Bonn. In einer Höhe von 800 m geriet sie in einen Schwarm von 8-10 großen Vögeln. 3 oder 4 Tiere trafen das Flugzeug. Einer der Vögel schlug mitten auf die linke Windschutzscheibe auf. Sie wurde stark nach innen durchgebogen, wobei sowohl Innen- als Außenscheibe in winzige Teilchen zersplitterten. Die Bruchstücke der Innenscheibe wurden explosionsartig ins Cockpit geschleudert.
Durch instinktives Ducken des Kopfes entging der Kapitän einer Verletzung. Kopilot und Flugingenieur wurden von Splittern getroffen, aber nicht verletzt. Das ganze Cockpit war nach den Worten des Kapitäns ein einziger Splitterhaufen.
Bis auf einen Riß am unteren Rahmenrand hielt die Venylschicht der Scheibe der Belastung stand. Durch diesen Riß strömte Außenluft ins Cockpit. Der Lärm war so groß, daß Verständigung nur noch über die Interphone-Anlage möglich war. Der Luftstrom riß außer Glassplittern auch Checklisten, Karten und die roten Abdeckungen der Brandhähne fort und machte für den Kapitän ein Kopfheben unmöglich.
Der Kopilot übernahm die Steuerung. Die Geschwindigkeit wurde sofort reduziert; und der Kopilot landete auf der Bahn 25 ohne weitere Zwischenfälle.
Befund: Außer der linken Cockpitscheibe Nr. 1 waren durch zwei weitere Aufschläge Außenteile beschädigt. Innenbords von Triebwerk Nr. 3 hatte ein Vogel in die Oberkante des Vorflügels ein Loch von 10 mal 10 cm geschlagen und dabei aus dem Obergurt des Vorderholms ein 8 cm langes Stück gebrochen. Eine Rippe der Flächennase wurde an dieser Stelle ebenfalls beschädigt.
Außenbords von Triebwerk Nr. 3 durchschlug ein dritter Vogel das Zugangspaneel und verbeulte das dahinter befindliche Enteisungs-Warmluftrohr so stark, daß es riß.
Feststellung der Vogelart: Die vorgefundenen Federn wurden dem Leiter der Vogelschutzwarte in Frankfurt, Herrn Dr. Keil, zur Artfeststellung übergeben. Sie wurden als Graugansfedern identifiziert.
Mit ziehenden Gänsen und Enten muß in Höhen bis 7.000 m gerechnet werden. Die Hauptbrutgebiete der Graugänse liegen auf Island, in Schottland, der DDR, Polen und Dänemark sowie der UdSSR. In Deutschland brüten etwa 170 Paare in Schleswig-Holstein. Während des Vogelzugs muß mit einem Durchzug von 45.000 Exemplaren gerechnet werden.
Jan Kaller legte die Blätter beiseite und sah Dr. Jason fast ein wenig mitleidig an.
»Dolle Sache! Ich werde diesen Bericht
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