Deutschlehrerin
zügig und unspektakulär vor sich gegangen, dennoch ohne Hast, aber ohne wochenlanges Schmachten, ohne romantisches Umwerben, ohne Warten, ohne Bangen. Wir waren nicht mehr siebzehn, wir wussten, was wir wollten.«
Für sie sah es allerdings anders aus. In diesem ersten gemeinsamen Frühling mit Xaver schwebte sie buchstäblich jeden Tag in den Wolken und stand gleichzeitig eine Unmenge Ängste aus. So unsäglich war sie in ihn verliebt, dass sie in den ersten Wochen kaum etwas essen und auch kaum schlafen konnte. Wie lange würde es dauern, dachte sie sich, bis er ihre Unzulänglichkeiten bemerken und sich aus dem Staub machen würde? Denn sie fühlte sich voller Komplexe, ohne dass sie sie genau hätte benennen können, und war bemüht sie zu verstecken, jedes Mal war sie nervös und zittrig, wenn sie sich wieder trafen, obwohl nur wenige Stunden seit ihrem letzten Zusammensein vergangen waren. Manchmal empfand sie ihren Zustand als quälend und wünschte sich, sie könnte gelassener sein und das Leben mehr genießen. In jeder Hinsicht wollte sie ihm gefallen und wusste nicht, ob es der Fall war, er machte ihr nie ein Kompliment und gab ihr auch nie zu verstehen, dass ihm eine ihrer Meinungen über irgendetwas imponierte, ihre Beziehung nahm er als selbstverständlich und oft fühlte sie sich austauschbar. Er war immer lässig, cool und wahrscheinlich damit beschäftigt, es zu sein.
Mathilda bewohnte mit einer Freundin, sie hieß Karin, eine Zweizimmerwohnung, und die meiste Zeit schlief Xaver bei ihr. Bevor er zu ihr kam, plagte sie sich oft eine Stunde lang, ihr Zimmer, das Abendessen und sich selbst so herzurichten, dass alles zwar gepflegt und ordentlich aussah, dennoch wie zufällig – und flippig – wirkte und auf gar keinen Fall konventionell rüberkam. Xaver hasste Konventionalität.
Wochenlang vernachlässigte sie ihr Studium, weil sie sich nicht konzentrieren konnte, sie dachte unentwegt nur an ihn. Wenn sie zusammen waren, beobachtete sie ihn, speicherte jede noch so kleine Bemerkung von ihm in ihrem Gedächtnis, sie wollte ihn so schnell wie möglich gut und genau kennen, welche Musik gefiel ihm?, welche Bücher beeindruckten ihn?, was waren seine Träume?, wie stellte er sich sein Leben vor? Und vor allem: Welcher Typ von Frau war seine Traumfrau? Alles wollte sie von ihm wissen, um darauf reagieren zu können.
In den Nächten der ersten Zeit konnte sie oft nicht einschlafen, weil ihr Magen rumorte, sie drehte sich so leise wie möglich auf die Seite und betrachtete ihn. Er lag meistens auf dem Rücken, seinen Kopf zur Schulter geneigt und tief atmend. Ihn im Schlaf zu beobachten, genoss sie, es waren die einzigen Momente, in denen sie sich ihm nicht unterlegen fühlte, und sie spürte ihre Liebe stark und schmerzhaft in jeder Faser ihres Körpers pochen. Sie liebte und wie sie liebte; sie liebte so sehr, dass sie sich manchmal selbst vergaß.
MATHILDA UND XAVER SEHEN EINANDER NACH SECHZEHN JAHREN WIEDER
Mathilda: Für mich war die erste Zeit nicht so schön, sondern eher stressig. Irgendwie, ich weiß auch nicht, habe ich immer den Stress gehabt, dich zu beeindrucken oder dir zu gefallen. Einmal bin ich in einem Geschäft gestanden und habe fieberhaft überlegt, was ich für das Abendessen einkaufen soll. Wieder Nudeln? Dann habe ich zwei Flaschen Rotwein, französische Käsesorten, Vollkornbrot und Weintrauben gekauft und eine Menge Geld dafür bezahlt. Und Geld habe ich als Studentin wirklich nicht viel gehabt. Später in der Wohnung habe ich alles auf den Tisch gestellt, als wäre es völlig normal, und du hast dich ohne Kommentar darauf gestürzt.
Xaver: Mein Gott, Mathilda, das ist typisch für dich. Du hättest einfach sagen können, das hat soundso viel ausgemacht, gib mir bitte die Hälfte. War ja unter Studenten so üblich.
Mathilda: Wenn es unter Studenten üblich war, hättest du ja auch von selbst die Hälfte bezahlen können. Ich war zu schüchtern und vielleicht auch zu verklemmt, um dich darum zu bitten.
Xaver: Jetzt würde ich gern die Zeit zurückdrehen. Ich würde läuten, du würdest die Tür öffnen, wie immer frisch geduscht, mit nassen Haaren, mit deinen Lippen voller rosa Labello. Du würdest deine lässigen Jeans und einen schwarzen BH tragen. Ich würde dich an mich drücken und drei Minuten mit dir schmusen, während deine Wohnungskollegin, wie hat sie geheißen?
Mathilda: Karin.
Xaver: Während Karin mit ihrem spöttischen Grinsen an uns vorbeirauscht. Mein
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