Deutschlehrerin
sie sich gegenübersaßen und sich unterhielten – eigentlich sprach die meiste Zeit er und sie hörte ihm zu –, passierte es, sie verliebte sich in ihn. Von Anfang an war Mathilda in ihn vernarrt und rettungslos verloren, irgendetwas in ihr hatte »klick« gemacht. Er saß vor ihr, strahlend, braun gebrannt, mit dunkelbraunen, dichten, lockigen Haaren, die einen Haarschnitt benötigt hätten, grünen Augen und den Wangengrübchen und sprach mit einer Leidenschaft über Literatur, die sie selber an sich vermisste.
Die Studienrichtung Germanistik hatte sie gewählt, weil sie immer gerne gelesen hatte, weil ihr kein anderes Fach eingefallen und weil ihr Deutsch in der Schule nie schwergefallen war. Andere Beweggründe hatte sie nicht gehabt und sie reichten ihr während des gesamten Studiums völlig aus. Ihre zweite Studienrichtung war Englisch, und das nur aus dem Grund, da ihr zwei Lehrer im Gymnasium gesagt hatten, mit einer zweiten Sprache hätte sie bessere Chancen, schnell eine Stelle als Lehrerin zu bekommen.
Nach dem Essen schlenderten sie noch eine Stunde in den Straßen herum und redeten weiter, dabei ging er dicht gedrängt neben ihr her. Für lange Momente schaffte sie es, verschwitzte Kleidung, Schweißtropfen, stinkende Schuhe zu vergessen, bis sie ihr dann umso siedend heißer wieder einfielen und sie ein Stück von ihm abrückte. Kurz bevor sie sich trennten, küsste Xaver sie auf die Wange und sagte: »Morgen um eins in der Mensa?«, und sie nickte, während ihr das Blut in den Kopf schoss.
In der Wohnung angekommen, stellte Mathilda zuerst fest, dass ihre Mitbewohnerin nicht anwesend war, sie jauchzte laut auf, schaltete das Radio ein und zog sich aus. Vor dem Spiegel betrachtete sie eingehend ihren nackten Körper, sie war groß für eine Frau und hatte eher breite Schultern und massige Schenkel, ihre Figur wirkte birnenförmig, die Brüste waren etwas zu klein, das Becken zu breit. Oft wünschte sie sich einen zarten, zierlichen Körperbau und dass ihr Aussehen femininer wirken würde. Mit ihrem Gesicht war sie eher zufrieden, zumindest war es symmetrisch, dachte sie, und weder Augen, Nase oder Mund waren zu groß oder zu klein, die hellbraune Haarfarbe war langweilig, nichtssagend und hatte einen aschigen Ton, seit einem Jahr färbte sie sie mahagonirot.
Sie stand vor dem Spiegel und wünschte sich sehnlichst, dass ihr Körper dem Studenten Xaver Sand gefallen würde. Dann tanzte sie nackt zu lauter Musik in ihrem Zimmer, so etwas hatte sie noch nie gemacht, unter der Dusche sang sie trällernd mehrere Songs und erst am Abend schrieb sie ihre Mitschrift ins Reine.
Auch Xaver behauptete in den folgenden Jahren, dass es für ihn Liebe auf den ersten Blick gewesen sei: Der Kugelschreiber und Schnitzler wären nur ein Vorwand gewesen, um Mathilda ansprechen zu können, da ihr Anblick und ihre Aura ihn einfach umgehauen hätten, als er sich in ihre Reihe zwängte. Später bezweifelte sie das und glaubte, er hätte ihr sozusagen angesehen, dass sie sich hervorragend dazu eignen würde, eine perfekte Stütze zu sein und dass er sie bewusst auserkoren hatte, seine Stütze in den folgenden schwierigen Jahren zu werden. Denn dass die folgenden Jahre für ihn schwierig werden würden, was Beruf und Geldsorgen anbelangte, hatte er bei jenem Mittagessen bereits gewusst, dass es allerdings so viele werden würden, hatte er nicht geahnt. Er brauchte jemanden, der ihn »versorgte«, das schrie ihm Mathilda einmal im Streit ins Gesicht, da waren sie bereits zehn Jahre oder länger zusammen, aber natürlich stritt er es ab.
Xaver Sand war nämlich Schriftsteller, beziehungsweise wollte einer werden, er arbeitete, als er Mathilda kennenlernte, an seinem ersten Roman. Ein Jahr zuvor hatte er für eine Studentenzeitung eine Kurzgeschichte geschrieben, auf diese Kurzgeschichte wurde ein Verleger aufmerksam und ermutigte Xaver, daraus einen Roman zu machen. Und so saß er schon beinahe ein Jahr lang mehrere Stunden täglich an seiner Schreibmaschine, um die Geschichte einer aufreibenden Suche zu schreiben: Ein Mann sucht jahrelang nach der um sieben Jahre älteren Frau, mit der er als Siebzehnjähriger auf einem Campingplatz an der Ostküste Korsikas seine ersten sexuellen Erfahrungen gemacht hat, bis er sie schließlich findet. Der Roman trug den Arbeitstitel Der Sucher und Xaver war damals gerade dabei, ihn zu beenden.
Als Mathilda das beim zweiten gemeinsamen Mittagessen erfuhr, konnte sie ihr Glück kaum
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