Deutschlehrerin
Blick fällt auf den liebevoll gedeckten Tisch, ich sehe die zwei Rotweinflaschen, die französischen Käsesorten, das Vollkornbrot und die Erdbeeren.
Mathilda: Weintrauben.
Xaver: Weintrauben. Ich rufe: Liebling, du bist ein Wahnsinn!, reiße meine Brieftasche aus meiner Hosentasche, öffne sie und entnehme ihr einen Hunderter, den ich dir in deinen BH stecke. Und weil deine Brustwarze dabei so hart wird, schaffen wir es gerade noch ins Bett, wo wir uns stundenlang lieben. Um Mitternacht setzen wir uns an den Tisch und essen genüsslich. Die Weintrauben hat aber Karin schon alle aufgegessen.
Mathilda (lacht): Witzbold.
XAVER ERZÄHLT MATHILDA EINE GESCHICHTE
Mein Roman trägt den Arbeitstitel Geh nicht fort , und darin geht es vor allem um zwei Lebensjahre meines Großvaters Richard Sand. Es ist die Zeit von Dezember 1918, als er aus den Vereinigten Staaten nach Hause zurückkehrte, um seiner Familie zu helfen, bis Dezember 1920, als er mit seiner schwangeren Frau sein erstes Weihnachtsfest im eigenen Haus feiert. Alles davor wird in Rückblenden erzählt, alles danach wird nur kurz geschildert und der Schluss soll offen bleiben.
Mathilda: Ich mag offene Schlüsse nicht, sie lassen den Leser unbefriedigt zurück.
Xaver: Sie regen die Fantasie des Lesers an.
Am 27. Oktober 1919, es ist ein Sonntagmorgen, steht Richard vor dem Elternhaus, das gerade neu aufgebaut wird, da das alte vollständig ausgebrannt ist, und weiß nicht, was er machen soll, er hadert mit sich und ist völlig verzweifelt. Soll er im Mühlviertel, in seiner Heimat bleiben, das Haus übernehmen, den elterlichen Betrieb, eine Schusterei, wiederaufbauen, sich um seinen alten Vater und die jüngeren Geschwister kümmern und Anna heiraten, die stille, sanfte Anna, die erst vierzehn war, als er damals wegging, und die ihm jetzt ihre Liebe gestanden hat? Oder soll er zurückgehen in die Vereinigten Staaten, nach Milwaukee, wo er die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte, glückliche, freie Jahre, aber auch Jahre voller Sehnsucht nach der Heimat, der Familie, den Freunden, und wo Dorothy auf ihn wartet, Dorothy, die temperamentvolle, leidenschaftliche Schuhverkäuferin mit irischem und indianischem Blut in den Adern, Dorothy, mit der er glückliche Jahre, unbeschwert und ohne irgendwelche Zwänge, verbrachte?
Richard steht vor den Steinmauern und vor den Unmengen von Steinen, die es noch braucht, um das große Haus fertig werden zu lassen. Was soll er tun? Wie soll er sich entscheiden? Er liebt beide Frauen und beide Wege stehen ihm offen. Anna oder Dorothy? Alte Heimat oder neue? In der alten Heimat fürchtet er die Verantwortung und das schlechte Gewissen, in der neuen das Heimweh und das schlechte Gewissen.
Wenn er nach Milwaukee zurückgeht, wird es für seine Familie zwar schwer werden, ohne ihn, den nun Ältesten, auskommen zu müssen, doch sie werden es schaffen, sein sechzehnjähriger Bruder Karl wird die Verantwortung übernehmen für den Besitz, den kranken Vater, die drei Schwestern, die es samt Mitgift zu verheiraten gilt. Karl ist zwar jung, aber ein verlässlicher, starker Bursche, der weiß, worauf es ankommt, er wird in alles hineinwachsen, um ihn muss er sich keine Sorgen machen, Karl wünscht sich vermutlich sogar, der Erbe zu sein. Es ist also nicht nur das Pflichtgefühl der Familie gegenüber, das ihn hier im Mühlviertel halten würde, sondern vielmehr sein wachsender Wunsch, denn Anna mit ihrem freundlichen Lächeln, den Sommersprossen, den flachsblonden, langen Haaren, der hohen, geraden Gestalt, drängt sich in den Vordergrund. Doch er braucht nur einige Minuten heftig an Dorothy zu denken, wie sie am Hafen stand und ihn verabschiedete, ihn leidenschaftlich küsste, er braucht nur an ihr fröhliches Lachen denken, an ihr wunderschönes, ebenmäßiges Gesicht, das immer zu strahlen schien, an ihren bronzefarbenen, anschmiegsamen Körper, schon würde er sich am liebsten in den Zug setzen, nach Hamburg fahren, um dort das nächste Schiff nach New York zu besteigen. Dorothy oder Anna? Anna oder Dorothy? Alte Heimat oder neue?
Wie sieht er sich selbst? Sieht er sich als Nachfahre einer alteingesessenen (früher einmal wohlhabenden, zurzeit jedoch sehr armen) Familie im Heimatort, Besitzer eines großen Hauses (das erst wieder aufgebaut werden muss) mit Grund und Boden und Wald, einer Schusterei, die seit einem Jahrhundert im Besitz der Familie ist (und die seit Mitte des Krieges zugesperrt ist), mit der Aussicht, wie
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