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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
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Warum bist du dir so sicher, dass Jakob nicht in Tante Marias Bunker ist? Sag es mir, Xaver! Was ist damals wirklich passiert?
    Xaver: Was??
    Mathilda: Erinnerst du dich an die besondere Variante unseres Spiels? Jeder hat dem anderen den passenden Schluss für seine Geschichte erzählt. Du musst mir jetzt noch einen passenden Schluss für meine Geschichte erzählen und dann möchte ich, dass du zur Polizei gehst.
    Xaver: Ich gehe nicht zur Polizei! Du hast Jakob nicht entführt!
    Mathilda: Ich meine damit, dass du dich stellen solltest, Xaver! Aber vorher musst du mir noch den passenden Schluss für meine Geschichte erzählen!
    Xaver: Was redest du da?
    Mathilda: Erzähl es mir!! Wie sehr muss ich dich noch mit meiner Geschichte provozieren? Erzähl mir die Wahrheit und stell dich dann der Polizei, damit das Ganze endlich vorbei ist und du wieder ein Leben hast!!

MATHILDA UND XAVER
    Xavers Motiv war die Eitelkeit, und er war sich in seltenen Momenten dessen bewusst. Seine Eitelkeit war der Grund, weshalb er sich bewusst entschied, Schriftsteller zu werden und nichts anderes. Er war neun, als er vor einem großen Publikum seine preisgekrönte Geschichte vorlesen durfte und er genoss jede Minute hinter dem Mikrofon und jeden einzelnen Blick aus dem Zuschauerraum, er war nicht nervös wie die anderen Kinder, er fühlte sich nur stolz und unbesiegbar. Nach diesem Tag interessierte er sich mehr für das schriftstellerische Hobby seines Vaters und war dann öfter bei dessen Lesungen und auch bei Lesungen von anderen Schriftstellern dabei.
    Ihm fiel auf, dass viele Leute mit glänzenden Augen vor dem lesenden und sprechenden Schriftsteller – quasi zu seinen Füßen – saßen und diesen anhimmelten. Vor allem Frauen hingen an den Lippen des Schriftstellers, als hätte jedes Wort von ihm etwas Göttliches an sich, als wollten sie jedes seiner Worte in sich aufsaugen. Einmal hörte er eine mondän gekleidete Frau nach einer Lesung zu ihrer Freundin sagen: »Oh mein Gott, ist der Mensch interessant und er hat so viel zu sagen!« Der siebzehnjährige Xaver dachte bei sich: Das ist von nun an mein Ziel, dass Leute einmal so etwas über mich sagen! Da aber Zielstrebigkeit nicht zu seinen Eigenschaften gehörte, rückte dieses Ziel lange nicht in erreichbare Nähe.
    Ein zweiter Grund, weshalb sich Xaver bewusst für die Schriftstellerei entschied, war seine Abneigung gegenüber harter, körperlicher Arbeit. Inge wollte, dass ihr Sohn lernte, was es bedeutete, schwer zu arbeiten, und so musste Xaver in den Sommerferien einen Monat lang bei einem Bauern im Dorf arbeiten, und einmal half er mehrere Wochen lang seinem Vater und einem Maurer beim Umbau des Hauses, als die Schusterei stillgelegt wurde. Schwitzend und fluchend schuftete er in der Hitze und wusste, er war dafür nicht geschaffen, die Arbeit widerte ihn an. Er könnte kein Bauer, Bauarbeiter oder sonst irgendein schwer arbeitender Mann sein, er fühlte sich dabei so unwohl, dass ihm manchmal sogar übel und schwindlig wurde. Er bedauerte die Männer im Dorf, die fast alle einer körperlichen Arbeit nachgingen, die, wenn sie am Abend heimkamen, verschwitzt, verdreckt und vor allem so müde waren, dass an eine sinnvolle Freizeitgestaltung nicht mehr zu denken war. Sie hatten nicht nur schwere Arbeit zu leisten, sondern auch eine große Verantwortung zu tragen, der Kredit für das Haus musste abbezahlt, die Kinder ernährt und die Frau zufrieden gestellt werden. Solch ein Leben wollte er auf keinen Fall führen.
    >Seine Eitelkeit verschaffte ihm viele Rollen, die er zu spielen hatte, doch es war ihm nicht bewusst. Vor seiner Mutter war er der liebevolle Sohn und ehrgeizige Student, er wollte, dass sie vor ihren Freundinnen nur Gutes über ihn zu sagen hatte. Deshalb fuhr er öfter nach Hause als ihm der Sinn danach stand, er absolvierte ungefähr alle zwei Monate seinen Pflichtbesuch, brachte Blumen mit, war aufmerksam, bekochte sie; auf Diskussionen, endlich in Schuroth einzuziehen, ließ er sich nicht ein, da er sie nicht verletzen wollte. Er sagte ihr nie die Wahrheit, dass er im Grunde das Haus nicht ausstehen konnte, dass er gar nicht richtig studierte. Er stritt mit Mathilda darüber, nicht mit seiner Mutter.
    Vor den wenigen Professoren, bei denen er eine mündliche Prüfung ablegte, zeigte er sich als der alles in Frage stellende Philosoph, vor seinen Freunden war er der intellektuelle Künstler, der sich mit Politik beschäftigte und sich für die Umwelt oder

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