Dezembergeheimnis
gut, dann würden sie es eben erst mal auf sich beruhen lassen. Die nächste Frage war jedoch aus verschiedenen Gründen schon etwas schwieriger. Um noch ein wenig Zeit zu schinden, biss sie ein Stück von ihrem Brot ab.
Wie sollte sie es formulieren? Gab es dafür einen Ausdruck, mit dem sie sich nicht lächerlich machte? Würde er ihr Problem verstehen? Würde es überhaupt etwas bringen, das Thema anzuschneiden? Und was war, wenn er nichts dafür, beziehungsweise nichts dagegen unternehmen konnte? Sie starrte so angestrengt auf die Kante des Couchtisches, dass es sie nicht verwundert hätte, hätte sich das Holz unter ihrem Blick verbogen.
»War das alles?«, fragte Noel irgendwann, da platzte es aus ihr heraus.
»Magst du mich?«
Erschrocken über sich selbst, hielt sie die Luft an, doch Noel begann endlich wieder zu strahlen. Er drehte sich vollständig zu ihr herum, sodass er im Schneidersitz auf den Polstern saß.
»Ja!«, antwortete er mit einer Ehrlichkeit und Erfülltheit, dass Lea für einen weiteren Moment vergaß zu atmen.
Doch genau damit waren sie beim Knackpunkt.
»Warum?«, bohrte sie.
»Weil du Lea bist. Du hast mich dir gewünscht.«
Tief durchatmend schloss sie die Augen und ließ sich an die Lehne des Sofas zurücksinken. Sie hatte bereits geahnt, was er erwidern würde, und zu ihrem Bedauern hatte er ihre Befürchtungen sogar noch übertroffen.
»Ist alles in Ordnung?«
»Nein!«, stöhnte sie.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«
Sie seufzte, denn sie wusste nicht, wie sie es erklären sollte. Sie hatte das starke Gefühl, dass es ihn verletzen würde, selbst wenn er nur ein kleiner Irrer war, der sich einbildete, sie glücklich machen zu müssen. Doch andererseits musste sie es ihm begreiflich machen. Sie würde nicht mit ihm zusammenleben können, wenn sich das nicht irgendwie ändern konnte. Und überhaupt, wer sprach denn von zusammenleben? Miteinander auskommen war für den Anfang schon ein hohes Ziel.
»Noel, das ist der Punkt, warum es mir so schwer fällt, dir zu glauben: Du tauchst einfach hier auf, kennst mich nicht, behauptest aber, mich zu mögen. Erster Eindruck hopp oder top, das ist einfach nicht richtig.«
Er öffnete zwar den Mund, um etwas zu sagen, wusste aber offensichtlich nicht, was.
»Um das wirklich behaupten zu können, müsstest du mich erst mal kennenlernen, denn bisher weißt du nichts über mich. Welche ist meine Lieblingsfarbe? Oder wie lautet mein zweiter Vorname? Ich will jemanden, der mich um meiner selbst willen liebt.«
»Aber, ich … «, setzte er an, doch sie unterbrach ihn.
»Lass mich ausreden«, sagte sie und hob die Hand. Augenblicklich klappte sein Kiefer wieder zu. »Denn das alles führt mich zum nächsten Punkt: Wie willst du mein Traummann werden, wenn ich dich nicht lieben kann?«
Kaum, dass sie diesen Satz ausgesprochen hatte, bereute sie ihn. Noels Augen wirkten mit einem Mal so verletzt, dass es ihr selbst wehtat. Er schluckte, brach den Blickkontakt ab und sah stattdessen auf den Boden. Aber Lea wollte ihm nicht alle Hoffnung nehmen, im Gegenteil: Sie wollte sich selbst welche geben. Schnell redete sie weiter, auch wenn sie sich beinahe davor fürchtete, den Mund aufzumachen.
»Ich kann nur jemanden lieben, der einen eigenen Charakter hat«, fuhr sie fort und ihre Stimme krächzte dabei plötzlich unangenehm. »Welche ist zum Beispiel
deine
Lieblingsfarbe? Oder was ist dein Lieblingsbuch? Bist du eher ein Hunde- oder ein Katzentyp?«
Sie hoffte so sehr, dass er verstand, worauf sie hinaus wollte. Noel hingegen sah sie traurig und entschuldigend an.
»Magst du Sport oder spielst du lieber ein Instrument, wohin würdest du gerne mal reisen? Welche ist deine Lieblingsmusik oder was ist dein Lieblingsessen? Magst du lieber den Winter oder den Sommer? Kannst du schwimmen? Was denkst du über den Tod oder was hast du für Zukunftspläne? Wie alt bist du überhaupt?«
Lea wollte niemanden, den sie sich richtig erzog; so würde sie nie glücklich werden. Das wäre keine Liebe. Egal, wie sehr er bereits wie ihr Prince Charming aussah, den Charakter dazu musste er erst entwickeln. Und er würde es alleine, ohne ihre Führung schaffen müssen, ansonsten würde sie immer Zweifel an seinen Gefühlen haben.
Für einen Moment war es ganz still. Noel schien Leas Worte zu verarbeiten und sie wollte ihn nicht drängen; sie konnte ihm nicht mal in die Augen schauen. Die Anschuldigungen waren hart und sie wusste, dass er eigentlich
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